19 Minuten
»Ben?«, sagte McAllister. »Was machst du denn noch hier?«
Patrick wandte sich an den Jungen. »Du bist kein Sanitäter?«
»Ich... nein...«
»Aber du hast gesagt, du wärst einer!«
»Ich hab gesagt, ich kann Erste Hilfe.«
»Ben ist bei den Pfadfindern«, sagte der Schulleiter.
»Ich konnte Mr. McCabe doch nicht einfach allein lassen. Ich... hab auf die Wunde gedrückt, und es hat funktioniert, sehen Sie. Es blutet nicht mehr!«
Guenther zog die Hand des Jungen behutsam vom Bauch des Lehrers. »Weil er tot ist, mein Junge.«
Bens Lippen zitterten. »Aber ich ... ich ...«
»Du hast getan, was du konntest«, versicherte Guenther ihm.
Patrick wandte sich an den Schulleiter. »Bringen Sie Ben doch nach unten... einer von den Ärzten soll ihn sich mal ansehen, ja?« Schock, formte er lautlos mit den Lippen über den Kopf des Jungen hinweg.
Als sie aus dem Klassenzimmer gingen, fasste Ben den Schulleiter am Ärmel und hinterließ einen leuchtend roten Handabdruck. »Mein Gott«, sagte Patrick und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
Guenther stand auf: »Komm, bringen wir's hinter uns.«
In der Sporthalle lagen zwei weitere Tote - ein schwarzer und ein weißer Junge - und dann betraten sie den Umkleideraum, wo Patrick Peter Houghton schließlich gestellt hatte. Guenther untersuchte den Leichnam, den Patrick dort zuvor bereits hatte liegen sehen, den Jungen im Eishockeytrikot, dem die Baseballkappe vom Kopf geschossen worden war. Unterdessen inspizierte Patrick den angrenzenden Duschraum und blickte zum Fenster hinaus. Die Reporter waren noch da, aber die meisten Verletzten waren abtransportiert. Von den sieben Rettungswagen stand nur noch einer da.
Es hatte angefangen zu regnen. Am nächsten Morgen würden die Blutflecken auf dem Pflaster vor der Schule verblasst sein.
»Das ist interessant«, sagte Guenther.
Patrick schloss das Fenster vor dem Wetter. »Wieso? Ist was Besonderes mit ihm?« »Könnte man so sagen. Er ist das einzige Opfer, das zwei Kugeln abgekriegt hat. Eine in den Bauch, eine in den Kopf.« Guenther blickte ihn an. »Wie viele Schusswaffen habt ihr bei dem Amokläufer gefunden?«
»Er hatte eine in der Hand, eine lag hier auf dem Boden, zwei hatte er noch im Rucksack.«
»Da ist aber einer auf Nummer sicher gegangen.«
»Allerdings«, sagte Patrick. »Kannst du erkennen, welche Kugel zuerst abgefeuert wurde?«
»Nein. Ich würde aber schätzen, die in den Bauch... Die ins Gehirn war dann tödlich.« Guenther kniete neben dem Toten. »Vielleicht hatte er den hier besonders auf dem Kieker.«
Die Tür des Umkleideraums flog auf, und ein vom Regenguss völlig durchnässter Officer steckte den Kopf herein. »Captain?«, sagte er. »Wir haben in Peter Houghtons Auto eine zweite Rohrbombe gefunden.«
Alex saß in einem stillen, dunklen Krankenzimmer am Bett ihrer schlafenden Tochter und hatte nur den einen Gedanken: Ich war zu spät.
Nach dem, was sie bisher in Erfahrung gebracht hatte, war Josie während der Schießerei ohnmächtig geworden und hatte sich eine Platzwunde an der Stirn und eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen. Die Ärzte wollten sie zur Beobachtung über Nacht dabehalten, nur zur Sicherheit.
Das Wort Sicherheit hatte jetzt eine ganz neue Bedeutung.
Aus den Nachrichten hatte Alex auch die Namen der Todesopfer erfahren, unter ihnen war Matthew Royston.
Matt.
War Josie vielleicht bei ihrem Freund gewesen, als er erschossen wurde?
Josie schlief schon die ganze Zeit, die Alex hier bei ihr war. Sie lag klein und reglos unter den verblichenen Krankenhauslaken. Nur ihre rechte Hand zuckte ab und zu. Alex ergriff sie und hielt sie ganz fest.
Was, wenn Alex am Morgen nicht spät dran gewesen wäre?
Hätte sie dann mit Josie gefrühstückt, über all die Dinge geredet, über die Mütter und Töchter so sprachen, wozu sie aber einfach nie Zeit hatte? Was, wenn sie endlich einmal spontan mit Josie verreist wäre, was, wenn sie einem mütterlichen Instinkt folgend ihre Tochter heute davon abgehalten hätte, zur Schule zu gehen?
Wenn das hier vorüber ist, schwor Alex in Gedanken, fahren wir in den Regenwald oder zu den Pyramiden oder an einen weißen Strand auf den Fidschi-Inseln. Wir essen Trauben direkt vom Weinstock, wir schwimmen mit Meeresschildkröten, wir bummeln über Kopf Steinpflaster. Wir lachen und reden und erzählen uns alles. Versprochen.
Und da war noch eine leise, aber deutliche Stimme in ihrem Kopf, die machte einen Zeitplan für diesen
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