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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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paradiesischen Traum. Danach, sagte die Stimme. Denn zuerst wirst du in diesem Pro-zess den Vorsitz führen.
    Sie wusste, dass so ein Fall möglichst schnell vor Gericht gebracht wurde. Alex war Richterin am Kammergericht von Grafton County, und obwohl Josie sich am Tatort befunden hatte, war sie streng genommen kein Opfer des Schützen. Denn sie war nicht von einer Kugel verletzt worden. Unter den gegebenen Umständen bestand juristisch gesehen kein Interessenkonflikt, der gegen Alex als Vorsitzende sprach, solange sie imstande war, ihre persönlichen Gefühle als Mutter einer Highschool-Schüle-rin von ihren Gefühlen als Richterin zu trennen. Es wäre ihr erster großer Fall am Kammergericht, eine Bewährungsprobe, die über ihren weiteren Werdegang entscheiden könnte.
    Aber im Augenblick interessierte sie das nicht.
    Plötzlich bewegte Josie sich. Alex beobachtete, wie ihre Tochter allmählich wach wurde. »Wo bin ich?«
    Alex fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar. »Im Krankenhaus.«
    »Wieso?«
    Ihre Hand verharrte. »Kannst du dich an irgendwas erinnern?«
    »Matt ist vor der Schule vorbeigekommen«, sagte Josie, und dann setzte sie sich mühsam auf. »Hatten wir... einen Autounfall?«
    Alex zögerte, unsicher, was sie sagen sollte. War es für Josie nicht besser, wenn sie noch nicht die Wahrheit erfuhr?
    »Dir ist nichts passiert«, sagte Alex behutsam. »Du bist unverletzt.«
    Josie blickte sie erleichtert an. »Und Matt?«
    Lewis besorgte einen Anwalt. An diese Aussicht klammerte Lacy sich wie an einen Rettungsanker, während sie benommen in Peters Zimmer auf dem Bett saß, das sie am Morgen so ordentlich gemacht hatte, und auf ihren Mann wartete. Alles wird gut, hatte Lewis versprochen, obwohl Lacy ihm nicht glauben konnte. Das kann nur ein Irrtum sein , hatte Lewis immer wieder gesagt. Aber er war nicht vor Ort gewesen, hatte nicht die Gesichter der Schüler gesehen, deren Kindheit mit einem Schlag geendet hatte.
    Ein Teil von Lacy hatte den inständigen Wunsch zu glauben, dass Lewis recht hatte - dass das, was zerbrochen war, wieder repariert werden konnte. Aber ein anderer Teil von ihr musste daran denken, wie oft Lewis Peter morgens um vier geweckt hatte, um mit ihm auf den Hochsitz zu gehen. Ja. Er hatte seinem Sohn das Jagen beigebracht, ohne zu ahnen, dass Peter sich irgendwann eine andere Beute suchen würde. Lacy hatte den sportlichen Aspekt der Jagd durchaus gesehen. Und das Jagen gehörte zum Urverhalten der Menschen. Lacy kochte sogar ein hervorragendes Hirschragout und wusste auch alles andere zu schätzen, was Lewis' Hobby auf den Tisch brachte. Aber im Augenblick dachte sie: Es ist seine Schuld. Weil es dann nicht ihre sein konnte.
    Wie war es möglich, jede Woche das Bett des Sohnes frisch zu beziehen, ihm Frühstück zu machen, ihm Unterwäsche zu kaufen und ihn doch überhaupt nicht zu kennen? Wenn Peter einsilbige Antworten gab, hatte sie das auf sein schwieriges Alter zurückgeführt, wie jede Mutter das gemacht hätte. Lacy durchforstete ihr Gedächtnis nach Alarmzeichen, irgendeine Bemerkung von ihm, die sie überhört, irgendetwas, das sie übersehen hatte, aber sie konnte sich nur an tausend ganz alltägliche Augenblicke erinnern.
    Tausend alltägliche Augenblicke, die einige Mütter jetzt nie wieder mit ihren Kindern erleben würden.
    Tränen schossen Lacy in die Augen. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg. Denk nicht an sie, schalt sie sich im Stillen. Kümmere dich jetzt um dich.
    Hatte Peter das auch gedacht?
    Lacy schluckte und stand vom Bett auf, sah sich dann in dem dunklen Zimmer um. Erst jetzt fiel ihr an der Wand das Poster einer Band namens Death Wish auf, und sie fragte sich, wann er das Poster aufgehängt hatte - und vor allem warum ein Junge sich so etwas aufhängte. Sie öffnete den Wandschrank, und da sah sie die leeren Flaschen, das Isolierband, die Stofflappen und all das andere Zeug, von dem sie keine Ahnung gehabt hatte.
    Einen Augenblick verharrte Lacy. Sie konnte die Sache selbst in Ordnung bringen, für sie beide. Sie lief nach unten in die Küche, riss drei große Müllsäcke von einer Rolle und eilte zurück in Peters Zimmer. Sie fing mit dem Wandschrank an, warf Schnürsenkelpackungen, Zucker, Kaliumnitratdünger und - du liebe Zeit, waren das Rohre? - in den ersten Sack. Sie hatte keinen Plan, was sie mit den Sachen anstellen sollte, aber sie würde sie aus dem Haus schaffen.
    Als es an der Tür klingelte, nahm Lacy unwillkürlich an, es müsse

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