19 Minuten
irgendwer mit einer erleichternden Nachricht sein. Sie ließ alles stehen und liegen, und als sie die Haustür öffnete, stand da ein Polizist mit einer dünnen blauen Mappe in der Hand. »Mrs. Houghton?«, fragte der Officer.
Was konnte die Polizei wollen? Ihren Sohn hatte sie doch schon.
»Wir haben einen Durchsuchungsbeschluss.« Er reichte ihr das Blatt Papier und schob sich an ihr vorbei, gefolgt von fünf Kollegen. »Jackson und Walhorne, ihr nehmt euch das Zimmer des Jungen vor. Rodriguez, den Keller. Tewes und Gilchrist, ihr fangt hier im Erdgeschoss an, und vergesst die Anrufbeantworter und die PCs nicht!« Dann sah er, dass Lacy ihnen gefolgt war und wie versteinert dastand. »Mrs. Houghton, Sie müssen das Haus verlassen.«
Er brachte sie zur Haustür. Benommen dachte sie, was sie wohl denken würden, wenn sie den Müllsack in Peters Zimmer fanden? Würden sie ihr die Schuld geben? Weil sie es möglich gemacht hatte?
Kalte Luft schlug Lacy an der noch offenen Tür ins Gesicht. »Wie lange?«
Der Officer zuckte die Achseln. »Bis wir fertig sind«, sagte er und ließ sie draußen in der Kälte stehen.
Jordan McAfee war seit fast zwanzig Jahren Anwalt und hatte ehrlich angenommen, ihn könne nichts mehr erschüttern. Doch jetzt stand er mit seiner Frau Selena vor dem Fernseher und verfolgte aufgewühlt die Berichterstattung über den Amoklauf an der Sterling High. »Das ist ja wie Columbine 1999«, sagte Selena. »Aber nicht in Colorado, sondern direkt vor unserer Haustür.«
»Und mit dem Unterschied«, murmelte Jordan, »dass der Täter noch am Leben ist.« Er blickte auf das Baby im Arm seiner Frau, eine blauäugige kaffeebraune Mischung aus seinen weißen und Selenas ebenholzschwarzen Genen, und nahm die Fernbedienung, um den Ton leiser zu stellen.
Jordan kannte die Sterling High. Die Schule lag nur zwei Querstraßen von seinem Büro über der Bank entfernt. Er hatte schon ein paar Schüler vertreten, die von der Polizei mit Haschisch im Handschuhfach erwischt worden waren oder sich wegen Alkoholmissbrauchs Ärger eingehandelt hatten. Selena, die nicht nur seine Frau, sondern auch seine Ermittlerin war, hatte sich ab und an zu der Schule begeben, um mit Schülern über einen Fall zu sprechen.
Sie lebten noch nicht sehr lange hier. Als sie noch in Salem Falls, New Hampshire, wohnten, hatte Jordan Selena gebeten, ihn zu heiraten, und als sie schwanger wurde, waren sie nach Sterling gezogen - weil der Schulbezirk einen so guten Ruf hatte.
Das Telefon klingelte, aber Jordan, der gebannt auf den Bildschirm starrte, machte keine Anstalten dranzugehen, daher drückte Selena ihm das Baby in den Arm und nahm den Hörer ab. »Hallo«, sagte sie. »Ja, da sind sie richtig.«
Jordan blickte auf und hob die Augenbrauen.
Selena bedeutete ihm, dass sie den Anrufer nicht kannte. »Ja, Moment, er steht direkt neben mir.«
Jordan nahm den Hörer entgegen. Er konnte noch immer die Sirenen in der Ferne hören. »Hallo?«
»Spreche ich mit Mr. McAfee?«
»Ja...«
»Sie sind mir, ähm, von Stuart McBride am Sterling College empfohlen worden...«
Im Fernseher lief eine Liste von den bislang bekannten Todesopfern mit Fotos aus dem Schuljahrbuch über den Bildschirm. »Entschuldigen Sie, ich bin zurzeit sehr beschäftigt. Geben Sie mir Ihren Namen und Ihre Telefonnummer, dann ruf ich Sie zurück, okay?«, sagte Jordan.
»Ich brauche einen Anwalt für meinen Sohn«, sagte der Anrufer. »Er ist der Junge, der... der von der Highschool, der...« Die Stimme begann zu beben. »Der geschossen haben soll.«
Jordan dachte an das letzte Mal, als er einen Jugendlichen vertreten hatte. Auch Chris Harte war sozusagen mit der noch rauchenden Pistole in der Hand gefunden worden.
»Würden Sie... würden Sie seine Verteidigung übernehmen?«
Jordan dachte nicht daran, wie sehr ihm der Fall Chris Harte an die Nieren gegangen war. Stattdessen sah er Selena und das Baby in ihren Armen an. Sam wand sich, versuchte, ihren Ohrring zu greifen. Dieser Junge - der heute Morgen in die Sterling Highschool marschiert war und ein Massaker angerichtet hatte -war jemandes Sohn. Die Stadt würde für Jahre traumatisiert sein, und die Medien überschlugen sich bereits. Aber jeder verdiente einen fairen Prozess.
»Ja«, sagte Jordan. »Ich übernehme seine Verteidigung.«
Nachdem das Sprengmittelräumkommando die Rohrbombe in Peter Houghtons Auto entschärft hatte, nachdem einhundertsechzehn Patronenhülsen im Schulgebäude gefunden
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