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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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murmelte Lacy.
    Lewis schüttelte den Kopf wie betäubt. Er hatte sich bislang nie vorstellen können, dass Menschen in eine so verzweifelte Situation gerieten, dass sie keinen Ausweg mehr sahen.
    »Wir können gar nichts machen«, erwiderte Lewis, und das meinte er ernst. Er sah einen Officer mit einem Stapel von Peters alten Comic-Heften herauskommen.
    Und er sah die Augen einer Nachbarin, die im Haus gegenüber hinter einem Vorhang hervorspähte.
    Lewis zog sich mit Lacy in den Garten zurück. Dort setzten sie sich auf die Verandaschaukel, umgeben von einem Dickicht aus nackten Ästen und schmelzendem Schnee. Lewis saß reglos da, Finger und Lippen gefühllos vor Kälte.
    »Glaubst du«, flüsterte Lacy, »dass es unsere Schuld ist?«
    Er starrte sie an, erstaunt über ihren Mut: Sie hatte etwas ausgesprochen, das er nicht einmal zu denken gewagt hatte. Aber was gab es auch sonst noch zwischen ihnen zu bereden? Ihr Sohn war ein Amokläufer, hatte Menschen getötet. Die Fakten waren unbestreitbar. Man konnte höchstens die Perspektive ändern, aus der man sie betrachtete.
    Lewis ließ den Kopf hängen. »Ich weiß nicht.« Was hätte man sich nicht alles für Fragen stellen können? War es passiert, weil Lacy Peter als Baby zu oft aus dem Bettchen genommen hatte? Oder weil Lewis so getan hatte, als würde er lachen, wenn Peter hinfiel, damit der Kleine glaubte, es gäbe keinen Grund, in Tränen auszubrechen? Hätten sie beide mehr darauf achten sollen, was er las, was er sich für Filme anschaute, was für Musik er hörte ... oder hätte eine stärkere Kontrolle zum selben Ergebnis geführt? Oder lag es an der Kombination von Lacy und Lewis? Wenn die Kinder eines Paares als Erfolgsnachweis galten, dann waren sie erbärmlich gescheitert.
    Zweimal.
    Lacy starrte auf das Muster der Platten zwischen ihren Füßen. Lewis erinnerte sich daran, wie er die Verandaplatten verlegt hatte, ganz allein. Peter hatte helfen wollen, aber Lewis hatte ihn nicht gelassen. Die Platten waren zu schwer. Du könntest dir wehtun, hatte er gesagt.
    Wenn Lewis weniger fürsorglich gewesen wäre - wenn Peter richtige Schmerzen gespürt hätte, hätte er dann vielleicht mehr Skrupel gehabt, anderen Schmerzen zuzufügen?
    Lacy vergrub das Gesicht an seiner Schulter. »Sie werden mich für die Mutter eines Monsters halten.«
    Einen kurzen Augenblick ließ Lewis den Gedanken zu, dass sich alle Augenzeugen täuschten - dass Peter heute nicht der Schütze gewesen sein konnte. Hatten sie alle denn tatsächlich denselben Jungen gesehen, mit dem Lewis am Abend zuvor gesprochen hatte, ehe er ins Bett ging? Sie hatten sich über Peters Auto unterhalten.
    Du musst diesen Monat mit deinem Wagen zur Inspektion, hatte Lewis gesagt.
    Ja, hatte Peter erwidert. Ich hab schon einen Termin.
    War das auch gelogen gewesen?
    »Der Anwalt -«
    »Er hat gesagt, er ruft uns an«, sagte Lewis.
    »Hast du ihm erzählt, dass Peter allergisch gegen Schalentiere ist? Wenn sie ihm was zu essen geben mit -«
    »Ich hab's ihm gesagt«, sagte Lewis, obwohl das nicht stimmte. Er stellte sich vor, wie Peter allein in der Zelle des Gefängnisses saß, an dem er jedes Jahr im Sommer auf der Fahrt zur Kirmes in Haverhill vorbeigekommen war. Er dachte daran, wie Peter am zweiten Abend im Zeltlager abgeholt werden wollte. Er dachte an seinen Sohn, der noch immer sein Sohn war, auch wenn er etwas so Entsetzliches getan hatte, dass Lewis nicht die Augen schließen konnte, ohne die grauenhaftesten Bilder zu sehen, und dann fühlte sich sein Brustkorb plötzlich zu eng an, um genug Luft einzuatmen.
    »Lewis?«, sagte Lacy und blickte ihn besorgt an, als er aufkeuchte. »Alles in Ordnung?«
    Er nickte, lächelte, aber er erstickte an der Wahrheit.
    »Mr. Houghton?«
    Sie sahen zu dem Officer hoch, der vor ihnen stand.
    »Sir, könnten Sie kurz mal mitkommen?«
    Lacy stand ebenfalls auf, doch Lewis hielt sie mit einer Hand zurück. Er wusste nicht, wohin der Cop ihn bringen, was er ihm zeigen würde. Und er wollte nicht, dass Lacy es sah, wenn es nicht unbedingt erforderlich war.
    Er folgte dem Polizisten ins Haus, wo weißbehandschuhte Beamte gerade seine Küche durchsuchten. Als sie zur Kellertür kamen, begann er zu schwitzen. Er wusste, wo es hingehen sollte; den Gedanken daran hatte er seit Lacys Anruf tunlichst vermieden.
    Ein Officer stand bereits im Keller und versperrte Lewis die Sicht. Hier unten war es fünf Grad kälter, und dennoch schwitzte Lewis. Er wischte sich die Stirn

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