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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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setzte sich zum Stillen auf die Couch. »Nein. Aber er hatte einen Bruder.«
    »Einen Bruder?«
    »Ja. Der ist bei einem Unfall mit einem betrunkenen Autofahrer ums Leben gekommen - und war vorher ein Bilderbuchsohn.«
    Jordan setzte sich neben sie. »Damit kann ich was anfangen ...«
    Selena verdrehte die Augen. »Kannst du nicht ausnahmsweise mal von Anwalt auf Mensch umschalten? Jordan, diese Familie wird vom Unglück verfolgt. Der Junge war ein Pulverfass. Die Eltern hatten mit ihrer Trauer zu tun und haben nichts mitgekriegt. Peter hatte niemanden, an den er sich wenden konnte.«
    Jordan sah sie an und begann zu lächeln. »Ausgezeichnet«, sagte er. »Unser Mandant ist soeben bemitleidenswert geworden.«
    Eine Woche nach dem Amoklauf hatte man begonnen, die Mount Lebanon School, die ihre Pforten wegen schwindender Schülerzahlen geschlossen hatte, als Notquartier für die Schüler der Sterling High einzurichten.
    Am Tag, als der Unterricht wieder beginnen sollte, kam Josies Mutters ins Zimmer ihrer Tochter. »Du musst nicht hin«, sagte sie. »Du kannst dir noch ein paar Wochen Zeit lassen, wenn du willst.«
    Nachdem alle Schüler einige Tage zuvor per Brief über den Unterrichtsbeginn informiert worden waren, reagierten einige ängstlich oder panisch. Sie telefonierten untereinander. Gehst du wieder hin? Und du? Josie hatte niemanden angerufen, aus Angst vor der Antwort.
    Josie wollte nicht wieder zur Schule. Es war ihr unvorstellbar, in einem Schulgebäude einen Flur entlangzugehen, auch wenn er sich nicht in der Sterling High befand. Andererseits war ihr klar, dass sie wieder zur Schule gehen musste, denn da gehörte sie hin. Nur ihre Mitschüler auf der Sterling High wussten, wie es wirklich war, morgens aufzuwachen und die drei Sekunden zu genießen, ehe dir wieder einfiel, dass dein Leben ein komplett anderes geworden war.
    »Josie?«, drängte ihre Mutter.
    »Es geht schon«, log sie.
    Ihre Mutter ging aus dem Zimmer, und Josie packte ihre Schulsachen. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie die Chemieklausur gar nicht geschrieben hatte. Katalysatoren. Sie wusste nichts mehr darüber. Mrs. Duplessiers würde doch wohl nicht so gemein sein, die Klausur gleich am ersten Tag schreiben zu lassen, oder?
    Am letzten Tag, an dem sie zur Schule gefahren war, hatte sie an nichts Besonderes gedacht. An den Test vielleicht. Matt. Wie viel Hausaufgaben sie wohl aufbekommen würde. Normale Dinge eben. Ein normaler Tag. Nichts, was den Morgen von irgendeinem anderen Morgen in der Schule abhob. Wie sollte Josie also wissen, ob der heutige Tag nicht auch in einer Katastrophe enden würde?
    Als sie in die Küche kam, trug ihre Mutter ein Kostüm -
    Arbeitskleidung. Sie war überrascht. »Gehst du ins Büro?«, fragte sie.
    Ihre Mutter stand am Herd, einen Pfannenheber in der Hand. »Oh«, sagte sie und stockte. »Ich hab gedacht, wenn du heute gehst... Du kannst mich jederzeit übers Sekretariat erreichen, falls es irgendein Problem gibt. Ich schwöre dir, Josie, in zehn Minuten bin ich da ...«
    Josie sank auf einen Stuhl und schloss die Augen. Sie hatte sich vorgestellt, ihre Mutter würde zu Hause auf sie warten, für alle Fälle. Aber das war dumm, nicht? Es war noch nie so gewesen, warum sollte es jetzt anders sein?
    Weil , so flüsterte eine Stimme in Josies Kopf, alles andere anders ist.
    »Ich habe meine Termine umgelegt, sodass ich dich von der Schule abholen kann. Und wenn irgendwas ist -«
    »Ja ja. Dann ruf ich im Sekretariat an. Schon klar.«
    Ihre Mutter nahm ihr gegenüber Platz. »Schatz, was hast du denn erwartet?«
    Josie hob den Blick. »Nichts. Das hab ich mir längst abgewöhnt.« Sie erhob sich. »Deine Pfannkuchen brennen an«, sagte sie und ging nach oben in ihr Zimmer.
    Sie verbarg das Gesicht im Kopfkissen. Sie hatte das Gefühl, als gäbe es jetzt, danach , zwei Josies - das kleine Mädchen, das weiterhin hoffte, alles wäre nur ein Albtraum gewesen, und die Realistin, die noch immer so sehr litt, dass sie nach jedem schlug, der ihr zu nahe kam. Und dann war da ihre Mutter, verdammt noch mal, die nicht mal richtig Wasser zum Kochen bringen konnte und jetzt versuchte, für Josie vor der Schule Pfannkuchen zu machen. Als sie jünger war, hatte sie sich vorgestellt, eine Mutter zu haben, die ihren Kindern morgens frischgepressten Saft und eine große Portion Rührei mit Schinken auf den Tisch stellte - und keine Batterie von Frühstücksflockenpackungen. Tja, jetzt war ihr Wunsch Wirklichkeit geworden.

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