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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ihrer Sekretärin Eleanor eingeschärft, ihr unbedingt Bescheid zu geben, falls Josie zurückrief.
    Es tat ihr gut, wieder zu arbeiten, aber sie hatte Mühe, sich auf die Verhandlung zu konzentrieren. Sobald der Staatsanwalt mit seinem Kreuzverhör fertig war, nutzte Alex die Gelegenheit zu einer Pause. »Die Sitzung wird unterbrochen«, verkündete sie. »Um elf Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.«
    Kaum war sie durch die Tür, die vom Gerichtssaal in ihr Büro führte, riss sie sich die Robe vom Leib. Alles hier verschaffte ihr heute Atembeklemmungen, und sie wusste nicht, wieso. Gerade hier hatte sie sich doch immer wohlgefühlt. Das Gesetz war ein Regelwerk, mit dem sie sich auskannte, ein Verhaltenskodex, in dem bestimmte Handlungen bestimmte Folgen nach sich zogen. Von ihrem persönlichen Leben konnte sie das weiß Gott nicht behaupten. Da wurde eine Schule, die angeblich sicher sein sollte, zum Schlachtfeld, und ihre Tochter, ihr eigen Fleisch und Blut, zu einer Fremden, die Alex nicht mehr verstand. Na schön, wenn sie ehrlich war - die sie nie verstanden hatte.
    Frustriert stand Alex auf und ging ins Sekretariat. Vor Verhandlungsbeginn hatte sie Eleanor zweimal um irgendwelche Bagatellen gebeten und gehofft, dass ihre Sekretärin, statt nur wie üblich mit »Ja, Euer Ehren« zu antworten, einfach mal fragen würde, wie es Alex ging, wie es Josie ging. Dass Alex einen kurzen Augenblick lang für jemand anderen einmal nicht die Richterin wäre, sondern bloß eine Mutter, die schreckliche Angst um ihre Tochter gehabt hatte.
    »Ich brauch eine Zigarette«, sagte Alex. »Ich bin kurz unten.«
    Eleanor blickte auf. »In Ordnung, Euer Ehren.«
    Alex, dachte sie, Alex, Alex, Alex.
    Draußen setzte Alex sich auf einen Zementblock neben der Ladezone und zündete sich eine Zigarette an. Sie inhalierte tief, schloss die Augen.
    »Die Dinger sind ungesund.«
    »Altwerden auch«, erwiderte Alex, und als sie sich umdrehte, stand Patrick Ducharme vor ihr.
    Er hielt das Gesicht in die Sonne und kniff die Augen zusammen. »Hätte nicht gedacht, dass Richter Laster haben.«
    »Haben Sie eine Ahnung.«
    Patrick grinste.
    Alex hielt ihm die Packung hin. »Möchten Sie eine?«
    »Falls Sie mich bestechen wollen, gibt's interessantere Möglichkeiten.«
    Alex spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Das hatte er doch wohl gerade nicht wirklich zu einer Richterin gesagt, oder? »Wenn Sie nicht rauchen, warum sind Sie dann hier draußen?«
    »Wegen der Photosynthese. Wenn ich den ganzen Tag im Gericht bin, ruiniert das mein Feng Shui.«
    »Menschen haben kein Feng Shui. Nur Orte.«
    »Kennen Sie sich aus?«
    Alex zögerte. »Ah. Nein.«
    »Na bitte.« Als er sich ihr zuwandte, sah sie zum ersten Mal, dass er eine weiße Strähne ihm Haar hatte, genau über der Stirn. »Sie starren mich an.«
    Alex wandte sofort den Blick ab.
    »Schon gut«, sagte Patrick lachend. »Das nennt man Albinismus.«
    »Albinismus?«
    »Ja, wird rezessiv vererbt.« Er verharrte einen Moment, sah sie dann mit ernsten Augen an. »Wie geht's Josie?«
    Alex zögerte. Hatte sie Lust, ihm auf diese Frage zu antworten? Aber Patrick Ducharme hatte genau das getan, wonach Alex sich sehnte. Er hatte sie wie einen Menschen behandelt, nicht wie eine öffentliche Person. »Sie ist wieder zur Schule gegangen«, erklärte Alex.
    »Ich weiß. Ich hab sie gesehen.«
    »Sie... Waren Sie da?«
    Patrick zuckte die Achseln. »Ja. Für alle Fälle.«
    »Ist irgendwas passiert?«
    »Nein«, sagte er. »Es war alles ... normal.«
    Das Wort hing zwischen ihnen in der Luft. Nichts würde wieder normal sein, und das wussten sie beide.
    »He«, sagte Patrick und berührte sie an der Schulter. »Was haben Sie denn?«
    Alex merkte beschämt, dass sie weinte. Sie wischte sich über die Augen und stand auf.
    »Mir fehlt nichts«, sagte sie und blickte Patrick trotzig an.
    Er sah für einen Augenblick so aus, als wollte er darauf etwas erwidern, aber dann meinte er nur: »Dann überlass ich Sie mal wieder Ihren Lastern« und ging zurück ins Gebäude.
    Erst als Alex wieder in ihrem Büro war, wurde ihr klar, dass der Detective den Plural benutzt hatte. Er hatte sie nicht nur beim Rauchen ertappt, sondern auch bei einer Lüge.
    Es galten neue Vorschriften: Sämtliche Türen waren nach Schulbeginn abzuschließen, dabei könnte ein Amokläufer unter den Schülern doch längst im Gebäude drin sein. In den Klassenräumen waren keine Rucksäcke mehr erlaubt, dabei ließ sich eine Pistole

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