19 Minuten
Peter und blickte Jordan an. »Ich bin froh, dass er tot ist.«
Jordan, der sich für so abgebrüht hielt, war zum wiederholten Male von Peter Houghton überrascht. Wenn nicht schockiert. Dieser Junge war nichts als das, was von einem Menschen übrig blieb, wenn man die primitivsten Emotionen zusammenmischte und jeden sozialen Bezug aus ihnen herausfilterte. Wenn du leidest, weine. Wenn du zornig bist, schlag zu.
Wenn du hoffst, mach dich auf eine Enttäuschung gefasst.
»Peter«, murmelte Jordan, »hattest du vor, sie zu töten?«
Sogleich verfluchte er sich selbst. Das war die Frage, die ein Verteidiger niemals stellen sollte. Die Frage, die Peter verleiten könnte, Vorsätzlichkeit zuzugeben. Doch stattdessen konterte Peter mit einer Gegenfrage: »Na ja«, sagte er, »was hätten Sie denn gemacht?«
Jordan stopfte einen weiteren Löffel Vanillepudding in Sams Mund und leckte den Löffel dann selbst ab.
»Der Pudding ist nicht für dich«, sagte Selena.
»Aber der schmeckt gut. Im Gegensatz zu dem Erbsenzeug, mit dem du ihn sonst fütterst.«
»Entschuldige, dass ich eine gute Mutter bin.« Selena nahm einen feuchten Waschlappen und wischte Sam den Mund ab, während Jordan auf den Pudding schielte.
»Ich weiß einfach nicht weiter«, sagte er. »Ich kann aus dem Tod des Bruders kein Kapital schlagen, weil Peter ihn gehasst hat. Ich hab keine brauchbare Verteidigungsstrategie. Ich könnte es mit Unzurechnungsfähigkeit versuchen, aber damit komm ich nie im Leben durch, weil die Staatsanwalt lastwagenweise Beweise für Vorsätzlichkeit auffahren kann.«
Selena wandte sich ihm zu. »Du weißt, was dein Problem ist, nicht?«
»Nein, was denn?«
»Du glaubst, er ist schuldig.«
»Na und? Neunundneunzig Prozent meiner Mandanten sind schuldig, und trotzdem hab ich für eine ganze Reihe von ihnen einen Freispruch erreicht.«
»Stimmt. Aber tief in deinem Innersten willst du gar nicht, dass Peter Houghton freikommt.«
Jordans runzelte die Stirn. »Blödsinn.«
»Der Blödsinn ist wahr. Du hast Angst vor jemandem wie ihm.«
»Er ist nur ein Junge -«
»- der dir Angst einjagt, ein bisschen. Weil er es sich nicht mehr gefallen lassen wollte, dass alle Welt auf ihn einhackt, und das darf einfach nicht sein.«
Jordan blickte sie an. »Zehn Schüler zu erschießen macht dich nicht zum Helden, Selena.«
»Jordan, ich heiße doch nicht gut, was er getan hat, aber ich sehe auch seine persönliche Geschichte. Du wurdest mit sechs silbernen Löffeln im Mund geboren. Ich meine, hast du irgendwann mal nicht zur Elite gehört? In der Schule, an der Uni oder in deinem Job? Die Leute kennen und bewundern dich. Du bist auf der Überholspur unterwegs und denkst nicht mal drüber nach, dass andere Leute noch immer zu Fuß gehen müssen.«
Jordan verschränkte die Arme. »Machst du jetzt wieder einen auf stolze Afroamerikanerin? Weil, ehrlich gesagt -«
»Du hast nie erlebt, dass andere Leute die Straßenseite wechseln, wenn sie dich sehen, nur weil du schwarz bist. Du hast nie angewiderte Blicke geerntet, weil du dein Baby im Arm hältst, aber vergessen hast, den Ehering anzuziehen. Du willst was dagegen machen - irgendwas, aber du kannst es nicht. Wer ausgegrenzt wird, fühlt sich verdammt ohnmächtig, Jordan. Und er gewöhnt sich daran, dass die Welt so und nicht anders ist, bis er keinen Ausweg mehr sieht.«
Jordan grinste. »Den letzten Satz hast du aus meinem Abschlussplädoyer im Katie-Riccobono-Prozess.«
»Die verprügelte Ehefrau?«, Selena zuckte die Achseln. »Na, kann sein, aber es passt trotzdem.«
Plötzlich blinzelte Jordan. Er stand auf, umarmte seine Frau und küsste sie. »Du bist einfach genial.«
»Dem möchte ich nicht widersprechen, aber sag mir bitte, warum.«
»Das Misshandlungssyndrom als entschuldigender Notstand. Das wird meine Verteidigungsstrategie. Misshandelte Frauen verharren oft so lange in einer demütigenden Situation, bis sie durch die ständige Bedrohung irgendwann keinen anderen Ausweg mehr sehen, als ihren Peiniger zu töten, und zwar in der Überzeugung, sich selbst zu schützen, sogar wenn sie ihren Mann im Tiefschlaf umbringen. Das trifft haargenau auf Peter Houghton zu.«
»Jordan«, sagte Selena, »Peter ist weder eine Frau noch verheiratet.«
»Darum geht's nicht. Es geht um die sogenannte posttraumatische Belastungsstörung. Wenn solche Frauen durchdrehen und ihren Mann erschießen oder ihm den Schwanz abschneiden, dann denken sie nicht an die Folgen ... sie wollen
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