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1913

1913

Titel: 1913 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Illies
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Lettern: »Moslem. Problem Zigaretten«.
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    Heinrich Mann lebt jetzt in München mit Mimi Kanova zusammen, die er 1912 – wie passend – während der Berliner Proben zu seinem Stück »Die große Liebe« kennengelernt hat. Sie ist ein bisschen dick. Er nennt sie »Pummi«. Aber sie schrieb ihm, wenn er für sie ein weiteres Engagement am Theater besorge, dann werde sie »ihn pflegen wie ein Baby«. Das fand er offenbar attraktiv. Alle anderen rümpfen ihre Nase über die ordinäre Frau und die Beziehung unter Niveau (natürlich auch sein Bruder Thomas, der immer seine Lippen spitzt, wenn Heinrich wieder zu forciert heterosexuell agiert). Heinrich, der mit seinem Spitzbart und seinen leicht hängenden Lidern aussieht wie ein spanischer Adliger, sitzt zufrieden mit seiner Mimi in München in der Leopoldstraße 49 und schreibt.
    Als Heinrich 42  Jahre alt wird, lädt Thomas seinen Bruder und dessen Frau ein, herüberzukommen für ein kleines Abendessen. Aber ansonsten arbeitet er permanent an seinem großen Buch »Der Untertan«. Er ist sehr diszipliniert, schreibt mit feiner Handschrift Seite um Seite in seine im kleinen Quartformat beschnittenen Hefte und ist fast fertig mit seiner schonungslosen Analyse der deutschen Gesellschaft unter Kaiser Wilhelm II . Nur zwischendurch zeichnet er Akte, meist wohlbeleibte Frauen in gewagten Posen, sie erinnern sehr an die Bordellzeichnungen von George Grosz. Später, nach seinem Tod, wird man sie einmal in seinen unteren Schreibtischschubladen finden.
    Heinrich Mann verhandelt mit verschiedenen Zeitschriften über einen Vorabdruck des »Untertan« und jetzt wird er mit der Münchner Zeitschrift »Zeit im Bild« handelseinig. Am 1 . November 1913 soll der Vorabdruck beginnen. Gegen die Zahlung von 10 000 Reichsmark Honorar willigt Heinrich Mann ein, gegebenenfalls »Streichungen von Stellen allzu erotischer Art vorzunehmen«. Na gut, so mag sich Heinrich Mann gedacht haben, in diesem Fall geht es mir ja auch eher um Stellen allzu sozialkritischer Natur … Vor ein paar Jahren in einem Café Unter den Linden in Berlin war ihm die Idee gekommen angesichts der Masse des bürgerlichen Publikums, das sich gierig an die Scheiben drückte, weil draußen der Kaiser vorbeiritt. »Zu dem alten menschenverachtenden preußischen Unteroffiziersgeist ist hier die maschinenmäßige Massenhaftigkeit der Weltstadt gekommen«, schrieb Mann, »und das Ergebnis ist ein Sinken der Menschenwürde unter jedes bekannte Maß.« Früh hat Mann die Idee für einen Papierfabrikanten, der nur noch verherrlichende Postkarten mit dem Konterfei des Kaisers druckt, er macht große Recherchen, fährt zu Papiermühlen und in Reproduktionsanstalten, macht sich akribisch Notizen, spricht mit den Arbeitern, arbeitet wie ein Reporter. Und Richard Wagner, vor allem dessen irritierend narkotisierende Wirkung auf den Widerspruchsgeist, ist ihm ein solches Rätsel, dass er erstmals, aus Recherchegründen, einen Lohengrin besucht. Während sich also sein Bruder Thomas mit der »Königlichen Hoheit« beschäftigt und mit dem Hochstapler Felix Krull, sucht Heinrich Mann nach dem Untertänigen im Deutschen – und erschreckt stellt er fest: Er findet es überall. Von einem Juristen lässt er sich haargenau den Tatbestand der Majestätsbeleidigung erklären. Denn genau das soll es werden, sein Buch »Der Untertan«: eine Beleidigung Seiner Majestät, des deutschen, kleinbürgerlichen Geistes.
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    Hermann Hesse lebt sehr unglücklich mit seiner Frau Maria in Bern zusammen. Er engagiert sich gemeinsam mit Theodor Heuss (ja:
dem
Theodor Heuss) in der Zeitschrift »März«, doch auf ihm und seinem Schreiben lastet die Situation zu Hause. Auch der Umzug vom Bodensee, wo sie ein vegetarisches Reformleben versucht hatten, in das ruhige Zentrum der Schweiz, in die Heimat seiner Frau, brachte die Beziehung nicht voran. Es gibt drei Kinder, Martin, der jüngste ist gerade zwei Jahre alt, doch das Band zwischen den Eltern ist mürbe geworden. Hesse greift zu dem Herz- und Kreislaufmittel, das nur Schriftsteller sich selbst verordnen können: der Fiktionalisierung. Er streitet sich in der Stube und geht dann in die Schreibkammer, spannt einen neuen Bogen in seine geliebte Schreibmaschine ein und schreibt den Streit als Dialog. So entsteht 1913 »Roßhalde«, die er noch im selben Jahr in »Velhagens & Klasings Monatsheften« veröffentlicht. Die Hauptfigur Johannes Veraguth durchlebt Hesses Leiden ein zweites Mal, also sein

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