1913
. Verkauf reservater dienstlicher Behelfe an Agenten einer fremden Macht.« Oberst Redl, ironischerweise wegen seiner Verdienste um die Spionageabwehr mit dem »Orden der Eisernen Krone Dritter Klasse« ausgestattet, die größte Hoffnung des Militärs, der dem Kaiser persönlich Bericht erstattete und engen Kontakt hatte mit dem Generalstabschef des Deutschen Reiches, General von Moltke, dieser Oberst Redl also entpuppte sich als Operettenfigur. Der kleine, gepflegte rothaarige Mann hatte sein gesamtes Vermögen für seine Liebhaber ausgegeben, ihnen Automobile und Wohnungen geschenkt und für sich selbst täglich neue Parfüms und Haarfärbemittel angeschafft. In Geldnot geraten, verkaufte er seit einem Jahrzehnt an Russland alle Aufmarschpläne von Österreich-Ungarn, die Militärcodes, die Expansionspläne. Es war ein Supergau.Der Name »Redl« wurde zum Synonym für ein hohl gewordenes System, eine überalterte, dekadente Monarchie, zum Kainsmal. Seine Brüder Oskar und Heinrich erhielten vom Staat nachsichtigerweise die Erlaubnis, sich sofort in Oskar und Heinrich Rhoden umzubenennen. Mit dem Namen sollte auch die Sache selbst aus dem Gedächtnis der Stadt und des Landes getilgt werden, doch es half nichts – wann immer Stefan Zweig an die Affäre um Oberst Redl dachte, spürte er ein »Grauen an der Kehle«. Nur Egon Erwin Kisch, den Aufdecker, machte die Affäre um Oberst Redl zur Reporterlegende. Er erhielt dafür eine der höchsten zivilen Auszeichnungen, die Wien zu verleihen hatte: für ihn war im Café Central immer der beste Tisch reserviert.
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Eine Fußnote noch, eine unheimliche. Am 24 . Mai, in der Nacht also, bevor sich Oberst Redl erschießt, träumt Arthur Schnitzler, dass er sich erschießt: »Ein toller Hund beißt mich, linke Hand, zum Arzt; er nimmts leicht; ich gehe, verzweifelt – will mich erschießen – in der Zeitung wird stehen: ›wie ein größrer vor ihm …‹ was mich ärgert!«
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Hitler und sein Freund Rudolf Häusler, mit dem er zusammen in Wien im Männerwohnheim gewohnt hatte, sind am frühen Morgen des 25 . Mai mit dem Zug aus Österreich geflüchtet, wohl, um sich dem drohenden Militärdienst zu entziehen. Sie ahnen da noch nicht, dass das Militär gerade andere Sorgen hat.
Gleich am ersten Tag laufen sie in München durch die frühsommerlichen Straßen, um ein Zimmer zu finden. Sie genießen die Überschaubarkeit der Stadt, nur 600 000 Einwohner statt der 2 , 1 Millionen in Wien, alles beschaulich und saturiert. In der Schleißheimer Straße 34 beim Schneider Joseph Popp sehen sie plötzlich das unscheinbare Schild »Kleines Zimmer zu vermieten«. Hitler klopft an die Tür, Anna Popp öffnet, sie zeigt ihm das Zimmer im dritten Stock links, und Hitler sagt sofort zu. In verkrampfter Handschrift füllt er seinen Meldebogen aus: »Adolf Hitler, Architekturmaler aus Wien.« Mit dem Zettel geht Anna Popp zu ihren Kindern Josef und Elise, 12 und 8 Jahre alt, und sagt ihnen, sie müssten künftig leiser spielen, sie hätten jetzt einen neuen Mieter.
3 Mark pro Woche zahlen Hitler und Häusler an Miete für ihr kärgliches Zimmer. Er lebt genauso weiter wie in Wien: Keine Saufereien, keine Frauengeschichten, jeden Tag ein Aquarell – und manchmal sogar zwei. Statt der Augustinerkirche malt er jetzt die Marienkirche. Ansonsten bleibt alles wie gehabt. Schon nach zwei Tagen hat er eine Staffelei gefunden und in der Innenstadt aufgebaut.
Ist er fertig mit ein paar Stadtansichten, läuft er durch die großen Münchner Bierwirtschaften und versucht abends im Hofbräuhaus seine Veduten an Touristen zu verkaufen. Auch der Juwelier Paul Kerber verkauft manchmal seine Blätter und die Parfümerie Schnell in der Sendlinger Straße.
Kaum hat er endlich einmal ein Aquarell verkauft, setzt er den Erlös von 2 oder 3 Mark in Brezeln und Würstl um, weil er oft schon einen Tag lang nichts gegessen hat. Aber mit diesem Betrag kann man schon einiges erreichen: Ein Liter Bier kostet 1913 30 Pfennig, ein Ei 7 Pfennig, ein halbes Kilo Brot 16 Pfennig und ein Liter Milch 22 Pfennig.
Jeden Tag um Punkt 17 Uhr kommt Hitler in die Bäckerei Heilmann in der Nähe seiner Wohnung und kauft eine Scheibe Zopf für 5 Pfennig. Dann läuft er schräg gegenüber zum Milchhändler Huber und kauft einen halben Liter Milch. Das zusammen ist dann sein Abendbrot.
Wie schon in Wien hat der an der Kunstakademie gescheiterte Maler Adolf Hitler keinerlei Bezug zur künstlerischen Avantgarde
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