1948 - An den Grenzen der Macht
sterben. Du wirst zur Frau."
„Was?"
Diesmal sprang Tuyula mit einem Satz aus dem Bett, schlug mit dem Kopf seitlich gegen die Maschine und brachte sich fluchtartig in dem hintersten Winkel der Kabine in Sicherheit.
„Doch, doch", versicherte der Medorobot eilfertig. „Es besteht kein Grund zur Sorge."
„Ich will aber nicht zur Frau werden, hörst du? Ich will nicht so werden wie, meine Mutter. Ich hasse sie!"
Im höchsten Ultraschall fiepsend sank sie zu Boden und senkte den Kopf in ihren Schoß. Sie legte die Arme darüber und rührte sich nicht mehr.
Lieblosigkeit, Berechnung, Rücksichtslosigkeit, Kinderverkauf - all das verband sie mit dem Begriff einer erwachsenen Frau. Ekel erfaßte sie und schüttelte ihren Körper durch.
Gleichzeitig lauschte sie mit den lamellenförmigen Ohren auf Geräusche, die der Roboter verursachte. Aber er erzeugte nicht einmal den Lufthauch einer Bewegung und ließ sie in Ruhe.
„Ich will mit Vincent sprechen", ächzte sie nach endlosen Minuten.
„Ich habe ihn angefunkt und wieder weggeschickt", antwortete der Roboter. „Glaub mir, es ist besser so."
Mit eindringlicher Stimme übermittelte er ihr Verhaltensmaßregeln in Sachen Hygiene und verriet ihr Tricks, wie sie sich gegenüber männlichen Blues schützen konnte.
„Blues?" zirpte sie. „Sind welche mder Nähe?"
Nein, das ist Unsinn, beantwortete sie sich die Frage selbst. Sie hielt sich in einem terranischen Schiff auf. Außer Menschen gab es in der 100-Meter-Kugel nur sie und den methanatmenden Gharrer. Und einen Medorobot, der sogar bestens auf Blues-Eigenschaften programmiert war.
„Trinke viel Wasser und bewege dich ausreichend. Dann dürftest du im Normalfall keine Probleme haben." Der Medo zog sich ein Stück in Richtung Ausgang zurück.
„Normalfall?" Tuyula gab ein Gakkern von sich. „Was in meinem Leben ist normal?"
Der Roboter verstand die Ironie der Frage nicht. „Dein Körper und dein Geist sowie dein Verhalten sind für dein Alter völlig normal."
Sie mochte das Wort „Alter" nicht mehr hören. Vor nichts graute ihr mehr als vor dem Erwachsensein.
„Verschwinde!" schrie sie den Medo an. „Nein, warte! Du wirst alle Daten und Hinweise auf meine Veränderung löschen. Sofort!"
„Dein Wunsch ist mir Befehl. Sie sind gelöscht."
Das Mißtrauen in Tuyula wich nicht.
„Hast du die Daten zuvor einem anderen Syntron überspielt?"
„Nein."
Roboter konnten nicht lügen, das wußte das Bluesmädchen, seit sie gehen konnte.
„Es ist gut. Du kannst gehen."
Der Roboter zog sich zurück, und Tuyula verriegelte die Tür hinter ihm. Dicht neben der Wand sank sie zu Boden. Aus ihren vier Augen tropfte warme, salzige Flüssigkeit von hellgelber Farbe.
„Warum kann ich nicht für immer ein Kind bleiben?" heulte sie. „Warum ist das Schicksal so grob zu mir?"
Sie wollte nicht erwachsen werden wie ihre Mutter. Nie im Leben. Eher würde sie sich umbringen. Am besten gleich jetzt, wo sie doch niemanden mehr hatte. Keinen Freund und kein Wesen, das sie mochte. Sie war allein in einem unendlich großen, finsteren Universum.
Tuyula Azyk betastete die weiche Fontanelle mitten auf ihrem Schädel. Dann begannen ihre Blicke durch die Kabine zu wandern. Irgendwo mußte doch ein spitzer Gegenstand aufzutreiben sein. Sie entdeckte die Roboter auf dem Hologramm, das den Korridor bis zum Aufenthaltsraum zeigte. Die Maschinen tauchten aus einer bisher nicht vorhandenen Öffnung in der Wand auf. Ihre langgestreckten Kegelrümpfe ließen keinen Zweifel daran, daß es sich um Kampfroboter handelte. Der Anblick riß das Bluesmädchen aus seinem Selbstmitleid.
„Lauf, kleine Tuyula!" zirpte sie und ließ die Luftklappe der Klimaanlage los, an der sie gerade ein Stück hatte abbrechen wollen.
Mit zitternden Fingern löste sie die Entriegelung der Tür. Schleppend langsam glitt diese zur Seite. Das Mädchen schob, drückte und zwängte sich hastig durch die entstehende Öffnung.
Die Roboter hatten die Fluchtabsicht bereits entdeckt. Sie beschleunigten und rasten auf sie zu.
Ihr bekommt mich nicht. Und ihr werdet keine Gelegenheit erhalten, mich an meinem Vorhaben zu hindern.
Tuyula Azyk floh nach rechts zu der Abzweigung in den schmalen Seitenkorridor. Er verband die beiden Gänge mit den Mannschaftskabinen. Sie schlüpfte hinein und rannte, was das Zeug hielt. Sie erreichte den zweiten Korridor, bog dort erneut nach rechts ab.
Am hinteren Ende des Ganges wußte sie den Personenschacht.
Hinten tauchte
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