Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
zu fragen. Ich stand auf und ging zu einem alten Haus, in dem jemand vom Lehrgang Omeletts briet und Kaffee kochte, wohl einer von der fröhlichen Gruppe Maschpech, von der ein paar Monate später keiner mehr am Leben sein sollte, und dieser Er-ruhe-in-Frieden hieß vielleicht Naftoli. Und dann fand ich in meiner Jackentasche einen Zettel: »Nicht sorgen, nicht fragen. Ich komm wieder. Kein Wort über mich, Ari.«
    Am Abend versammelten wir uns, und ein neuer Mann tauchte auf, der sagte, er sei der Kommandeur unseres Bataillons, das die Bezeichnung »4. Bataillon« trüge. Dem würden wir angegliedert, weil die Marineeinheit schon lange zu diesem Bataillon gehöre, und es sei ein ruhmreiches Bataillon. Ich wusste nicht, worauf sein Ruhm beruhen sollte. Der Mann redete von Krieg und Aufreiben und Töten und Reagieren und von der Reinheit der Waffen und wie er am Jordan einen Araber kastriert hatte, und von jungen Leuten, die schon jetzt auf der Straße nach Jerusalem umgekommen waren, wohin wir nun auch – so sagte er wörtlich – »unsere Schritte lenken« würden.
    In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Ari-Name-geändert kam nicht zurück, um mich zu beschützen. Ich war doch noch ein Junge, und plötzlich nahm ich hier Gewehre auseinander, zählte Patronen, säuberte Spiegel und Gewehrmündungen. Ich sehnte mich nach meinem Bett im Elternhaus, das ganze fünfzehn Gehminuten von Sarona entfernt stand. Ich blickte durchs Fenster auf die Lichter von Tel Aviv, und plötzlich erstrahlte Ari-Name-geändert aus dem Nirgendwo. Wegen Lehrer Blich habe ich Wörter wie »erstrahlen« und »züngeln« benutzen gelernt. Er hatte mir immer nur »Ausreichend« im Aufsatzgegeben, worauf meine Mutter, die an derselben Schule unterrichtete, mir sagte, ich solle meinen Text doch ein wenig ausschmücken. Deshalb merkte ich mir Wörter aus dem Wörterbuch, und mit »erstrahlen« gab er mir ein »Sehr gut«. Ari-Name-geändert erstrahlte also und sagte, yalla , da bin ich. Ich war froh, denn er half mir immer in diesen Momenten, wenn ich nicht wusste, wer ich war und was ich hier zu suchen hatte an diesem Ort für Erwachsene, die von Schießen und Tod und Krieg redeten.
    Wir gingen gemeinsam zu dem leerstehenden grünen Haus, in dem wir uns vor dem Aufbruch versammeln sollten. Es war mit bunten britischen Büromöbeln eingerichtet. Ari-Name-geändert zog Geld aus der Hosentasche und sagte, ich hab Mäuse gemacht. Ich fragte ihn, wie. Er sagte, das sei für uns beide. Ich erwiderte, Ari, ich hab dir doch schon mehrmals gesagt, mach kein Geld für mich, mach’s für dich. Er lachte, wurde dann jedoch ernst, ich erinnere mich, dass seine Miene finster wurde und er fast flüsterte: Du bist verwöhnt. Du hast alles gehabt. Dein Vater mit Beethoven und seinem Museum und all den Schallplatten, und du mit Schlonski und Tschernichowski und all dem, und deine Mutter, die Lehrerin, mit Lehrerzimmer und Nachmittagskaffee. Ich bin in der Gosse aufgewachsen, ich hab einen Riecher für solche Dinge, und über einen wie dich kann ich nur lachen. Aber weißt du, anfangs, als ich dich gerade erst getroffen hatte, habe ich dich gehasst, weil du so ein Musterknabe aus geordneten Verhältnissen warst, doch ich werde nie vergessen, wie du das in dem kenternden Boot gemeistert hast, mit deinem Jugendlexikon, du warst zwar erschrocken, aber auch mutig. Allerdings bist du immer noch ein verwöhntes Kind. Es hat dir weh getan, die Araber aus Caesarea fliehen zusehen. Schau mal, hör gut zu, aus dir wird nie was werden. Du bist nicht hungrig genug, um auf dieser Welt zu leben. Ich bin mit dem Pferdekarren meines Vaters nachts durch die Allenby-Straße gefahren, er hat Leitungsrohre aus den Neubauten gestohlen, und ich hab Kölnisch-Wasser-Flaschen aus den verschlossenen Läden geklaut und sie an die Nutten bei Berele in der Schlusch-Straße verhökert. Und du, was hast du gemacht? Beethoven.
    Er stand auf, zündete sich und mir eine Zigarette an und erzählte, dass die Piloten der Hagana zum Ausstellungsgelände in Nord-Tel Aviv gingen, nahe der Stelle an der Jarkon-Mündung, wo wir mit dem Boot gelandet waren. Dort erhielten sie von einem Herrn Vilentchuk Bomben für ihre fliegenden Kisten und flehten ihn um weitere an, aber er hatte nicht genug. Ich hab ihn beschattet, fuhr Ari-Name-geändert fort, er ist ein netter Mann. Er ging zum Jarkon, und ich sah, dass er die Bombenproduktion in einer verlassenen arabischen Lehmhütte überwachte. Ich versteckte

Weitere Kostenlose Bücher