1969 - Grausame Götter
ehrgeizigen Oberbruders Morfantinos - und in diesem Zusammenhang erhoffte er sich auch die geheiligte Dreiteilung seines Namens. Die Götter flüsterten es ihm in seinen Elcoxol-Visionen zu, wie er einst genannt werden wollte: Scoctore Morfan ti Nosh.
In dieser Atmosphäre aus Zucht, strenger Ordnung und religiösem Wettstreit wuchs Vilandos in der Obhut des vorzeitig vergreisten Bruders Gondanar auf.
Gondanar liebte Vilandos wie sein eigenes Kind. Er hatte selbst nie das Bedürfnis gehabt, Leben zu zeugen, denn das Drumherum hatte ihn abgestoßen. Eine körperliche Verbindung mit einem Weibe einzugehen, das hätte er nie über sich gebracht. Aber ein Kind, einen Jungen, von den Göttern geschenkt zu bekommen, das hatte er sich schon immer gewünscht. Gondanar wusste, wie man Kleinkinder richtig versorgte, ohne dass es ihm irgendjemand beigebracht hätte. Er hatte früher schon viele Gesichter gehabt, in denen er Vater gewesen war und gesehen hatte, wie es ging.
So gedieh Vilandos schon in den ersten. beiden Lebensjahren, die für ein Kind ohne die Mutter die schwersten waren, prächtig. Schon das erste Bad für Vilandos gestaltete Gondanar zu seinem aufwendigen Ritual, und er gestaltete auch die folgenden mit großem Aufwand. Für ihn war Vilandos etwas Besonderes. Gondanar suchte nach immer neuen Badezusätzen, die er vornehmlich in der Pflanzenwelt von Jangrun fand, und er hörte nicht auf zu experimentieren, bis er eine ganz persönliche Duftnote auf den kleinen Vilandos abgestimmt hatte - wie sie für eine Inkarnation des Nachto gerade Recht war.
Gondanar war auch sorgsam darauf bedacht, dass Vilandos die richtige Körperpflege bekam, die einmal seine äußere Erscheinung prägen würde. Das betraf in erster Linie die ausladende Kopfform, die man durch das Anlegen von Bandagen und Manschetten erreichte. Gondanar wechselte diese fast täglich und zog sie jedesmal um eine Nuance fester, so dass er auf den Zweck hinarbeitete, ohne dem Kleinen auch nur die geringsten Scherzen zuzufügen. Diese Bandagen musste Vilandos bis zum sechsten Lebensjahr tragen, bis sein Hinterkopf eine wunderschöne Eiform erreicht hatte.
Vilandos würde das seinem Ziehvater einst danken. Schon als Vilandos die ersten Worte hervorbrachte, war Gondanar bemüht, ihm die richtige Aussprache beizubringen und die Unsitte einer Kindersprache nicht erst aufkommen zu lassen. Und er erreichte dies mit viel Geduld und Strenge über die schönste Sprache, die das Universum kannte, die Gebetssprache. Als Vilandos vier war, konnte er bereits viele Psalmen aus den Alten Schriften auswendig aufsagen, und er konnte allen 123 Hauptgöttern den richtigen Platz im Pantheon zuordnen.
Damals stellte er die Frage, vor der Gondanar von Anfang an gebangt hatte: „Warum gelte ich als Inkarnation des Nachto?" Gondanar entschloss sich für die Wahrheit und gestand Vilandos, dass er eine Art Findelkind sei und niemand seinen wirklichen Vater und die Umstände seiner Geburt kenne.
Das hätte bei Vilandos einen Minderwertigkeitskomplex auslösen können, doch das Gegenteil trat ein: Es stärkte ihn. Er verstand, das Geheimnis seiner Herkunft als besondere Gabe hervorzukehren und sich so als etwas Besonderes zu erkennen. Das bewies, welch starke Persönlichkeit in ihm schlummerte.
Mit sechs konnte Vilandos bereits lesen und schreiben und verfasste seine ersten Predigten. Diese waren, noch sehr naiv, aber sie besaßen bereits verblüffende Ansätze zu Glaubensdialogen. Wie etwa die Frage nach der Wertigkeit des Lebens, die sich ihm immer wieder stellte und die er mit acht so formulierte: „Wenn von zwei Wesen nur eines überleben kann und das eine Wesen ein Tazole ist und das andere ein Jangruner, dann werden die Götter zweifellos dem Tazolen den Vorzug geben. Ist der Jangruner ein Bekehrter und wahrhaft gläubig, dann wird auch er zugunsten des Tazolen entscheiden."
Es gab viele Beispiele für Vilandos' hohe religiöse Reife, und sie mehrten sich mit jedem Jahr, mit dem er sich seiner Mannwerdung näherte. Eines fand Gondanar besonders bemerkenswert... Da Vilandos keine tazolischen Altersgenossen hatte, kam es zwangsläufig, dass er sich mit Einheimischen abgab. Die Echsenkinder bewahrten stets die erforderliche Distanz zu ihrem tazolischen Altersgenossen, so, wie es sich geziemte. Sie hörten ihm ehrfürchtig zu, wenn er sie in die religiösen Zusammenhänge einweihte und ihnen begreiflich machte, warum die Götter einem Tazolen immer näher stehen würden
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