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1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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    »Das mußt du gerade sagen, bist um diese Zeit ja noch nicht mal angezogen. Gar nicht deine Art.« Ich nahm einen großen Schluck heißen, süßen Tee.
    »Nein, mein Schatz. Heute nicht«, flüsterte sie.
    Draußen in der Küche kamen die Sechs-Uhr-Nachrichten im Radio:
    Achtzehn Tote in einem Altersheim in Nottingham, der zweite Brand in ebenso vielen Tagen. Der Vergewaltiger von Cambridge hatte sein fünftes Opfer gefordert, und England lag beim zweiten Testmatch im Kricket 171 Runs zurück.
    Meine Mutter saß da, starrte in den Garten hinaus und ließ den Tee kalt werden.
     
    Ich legte den Umschlag auf die Kommode, legte mich aufs Bett und versuchte zu schlafen, aber ich konnte nicht, Zigaretten halfen da überhaupt nicht, machten alles nur noch schlimmer, genauso wie der Whisky, der einfach nicht runterging, nicht unten bleiben wollte, und schon bald sah ich Ratten mit kleinen Flügeln, die eher wie Eichhörnchen aussahen mit ihren kleinen Gesichtern und freundlichen Worten, die aber plötzlich wieder zu Ratten wurden, mir harsche Worte ins Ohr flüsterten, mich beschimpften, mir die Knochen brachen, bis ich aufsprang und das Licht einschaltete, dabei war schon Tag und es war hell, also machte ich das Licht wieder aus und sendete Signale hinaus, die niemand empfing, vor allem nicht der Sandmann.
    »Hände vom Sack!«
    Scheiße.
    »Hat sich hier jemand verletzt?«
    Ich schlug die Augen auf.
    »Sieht so aus, als hättest du ‘ne ziemlich wilde Nacht hinter, dir.« Barry Gannon, Teetasse in der Hand, besah sich die Ruine meines Zimmers.
    »Scheiße«, murmelte ich, keine Flucht möglich.
    »Es lebt.«
    »Himmel.«
    »Ja, danke. Und dir auch einen guten Morgen.«
     
    Zehn Minuten später waren wir unterwegs.
    Zwanzig Minuten später hatte ich ihm meine Geschichte erzählt, und die Kopfschmerzen hämmerten auf meinen leeren Magen.
    »Also, den Schwan hat man oben in Bretton gefunden.« Barry nahm die landschaftlich schönere Route.
    »Bretton Park?«
    »Arnold Fowler ist ‘n Kumpel von meinem Dad, der hat’s ihm erzählt.«
    Flashback Nr. 99 aus meiner Kindheit; ich sitze im Schneidersitz auf dem hölzernen Schulfußboden, und Mr. Fowler erzählt uns was über Vogel. Der Kerl war ein Fanatiker, hatte in jeder Schule in West Riding einen Vögelclub initiiert, hatte in jedem Lokalblatt eine Kolumne gehabt.
    »Und der lebt noch?«
    »Und schreibt noch immer für den Ossett Observer. Sag nur, du hast es nicht gelesen?«
    Ich mußte beinahe lachen und sagte: »Und wie hat Arnold das herausgefunden?«
    »Du kennst doch Arnold. Gibt doch nichts in der Vogelwelt, was Arnold nicht als erster zu hören kriegt.«
    Zwei Schwanenflügel waren ihr an den Rücken genäht worden.
     
    »Ernsthaft?«
    Barn schaute gelangweilt. »Also, Sherlock, ich gehe davon aus daß die guten Menschen von Bretton Park ihm davon erzählt haben. Er verbringt jede wache Stunde da oben.«
    Ich schaute zur Seitenscheibe hinaus und sah einen weiteren stillen Sonntag vorbeiziehen. Barry hatte weder geschockt noch sonderlich interessiert geklungen, nicht bei den Zigeunern und nicht bei der Obduktion.
    »Oldman hat’s mit den Zigeunern«, war alles, was Barry dazu zu sagen hatte, fügte aber noch an, »und mit den Iren.«
    Bei der Obduktion hatte er noch viel weniger reagiert, und ich wünschte mir, ich hätte Barry die Photos gezeigt oder zumindest den verdammten Mumm gehabt, sie mir selbst anzuschauen.
    »Die Bilder müssen schlimm sein«, hatte ich gesagt, mehr nicht.
    Barry Gannon hatte darauf nichts erwidert.
    »Das im Redbeck muß ein Bulle gewesen sein«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Barry.
    »Aber warum?«
    »Spielchen, Eddie«, sagte er. »Sie spielen verdammte Spielchen mit dir. Paß auf dich auf«
    »Ich bin schon groß.«
    »Hab ich gehört«, meinte er lächelnd.
    »Das ist hier in der Gegend allgemein bekannt.«
    »In welcher Gegend?«
    »Nicht in deiner Lendengegend.«
    Barry hörte auf zu lachen. »Glaubst du immer noch, daß es eine Verbindung zu den anderen vermißten Mädchen gibt?«
    »Ich weiß nicht, ich glaub schon. Könnte sein.«
    »Okay.«
    Und dann erzählte Barry noch mal vom bescheuerten Johnny Kelly, vom bösen Buben aus der Rugby League, der heute wieder nicht spielen konnte und von dem kein Schwein wußte, wo zum Teufel noch mal er steckte.
    Ich schaute zum Fenster hinaus und dachte, wen interessiert das schon, verdammt?
    Barry hielt am Rand von Castleford an.
    »Schon da?« fragte ich; ich hatte mir Dawsons

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