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1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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verdammten Sturm.
     
    »Hübscher Tag für einen Ausflug«, sagte ich und strahlte.
    »Zur Abwechslung mal«, entgegnete Arnold Fowler, Mitte Sechzig, passende Klamotten.
    Die Haupthalle war groß und kalt, die Wände zugepflastert mit Kinderzeichnungen und Bildern von Vögeln und Bäumen.
    Hoch oben an den Deckenbalken hing ein riesiger Schwan aus Pappmache.
    Die Halle stank wie eine Kirche im Winter, und ich dachte an Mandy Wymer.
    »Ich kannte Ihren Vater«, sagte Arnold Fowler und führte mich in eine kleine Küche mit zwei Stühlen und einem blaßblauen Resopaltisch.
    »Wirklich?«
    »Ja. Ein guter Schneider.« Er knöpfte sein Tweedjackett auf und zeigte mir ein Wäscheetikett, das ich jeden Tag meines Lebens gesehen hatte: Ronald Dunford, Schneider.
    »Die Welt ist klein«, sagte ich.
    »Ja. Aber nicht mehr wie früher.«
    »Er wäre sehr geschmeichelt.«
    »Ich glaube nicht. Nicht der Ronald Dunford, den ich kannte.«
    »Sie haben recht«, sagte ich lächelnd und dachte, daß erst eine Woche vergangen war.
    »Ich war sehr betroffen, als ich von seinem Ableben hörte«, sagte Arnold Fowler.
    »Danke.«
    »Wie geht es Ihrer Mutter?«
    »Den Umständen entsprechend. Sie ist sehr tapfer.«
    »Ja. Ein kerniges Yorkshire-Mädel durch und durch.«
    »Wissen Sie, Sie sind mal in meine Schule, die Holy Trinity, gekommen.«
    »Überrascht mich nicht. Ich schätze, ich war im Laufe der Zeit an jeder Schule in West Riding. Hat es Ihnen Spaß gemacht?«
    »Ja. Ich kann mich noch gut daran erinnern, aber ich konnte beim besten Willen nicht zeichnen.«
    Arnold Fowler lächelte. »Sie haben sich also nie meinem Nature Club angeschlossen?«
    »Nein, tut mir leid. Ich war bei der Boys’ Brigade.«
    »Zum Fußballspielen?«
    »Ja.« Ich lachte zum ersten Mal seit langem.
    »Dagegen kommen wir bis heute nicht an.« Er reichte mir einen Becher Tee. »Beim Zucker bedienen Sie sich bitte selbst.«
    Ich schaufelte zwei große Löffel in den Becher und rührte sehr lange um.
    Als ich wieder aufblickte, starrte Arnold Fowler mich an.
    »Wieso interessiert sich denn Bill Hadden plötzlich für die Schwäne?«
    »Mr. Hadden hat damit nichts zu tun. Ich habe einen Artikel über die verwundeten Ponys in Netherton geschrieben, und dann habe ich von den Schwänen gehört.«
    »Von wem?«
    »Ach, Gerede bei der Post Barry Gannon hatte …«
    Arnold Fowler schüttelte den Kopf. »Furchtbare, ganz furchtbare Geschichte. Ich kannte auch seinen Vater. Kannte ihn sehr gut.«
    »Wirklich?« fragte ich, ging ganz nach Drehbuch vor und stellte mich dumm.
    »Ja. Eine Schande. Ein sehr talentierter junger Mann, Barry.«
    Ich trank einen siedendheißen Schluck süßen Tee und sagte dann: »Ich bin mit den Einzelheiten nicht vertraut.«
    »Wie bitte?«
    »Bei den Schwänen.«
    »Ach so.«
    Ich zückte mein Notizbuch. »Wie viele dieser Zwischenfälle hat es denn gegeben?«
    »Zwei in diesem Jahr.«
    »Wann?«
    »Einer war irgendwann im August. Der andere vor etwas mehr als einer Woche.«
    »In diesem Jahr, sagten Sie?«
    »Ja. So etwas gibt es immer mal wieder.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Könnte einem übel davon werden.«
    »Immer auf dieselbe Art?«
    »Nein, nein. Aber die beiden Fälle dieses Jahr waren einfach unglaublich barbarisch.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Die Tiere sind gequält worden.«
    »Gequält?«
    »Man hat ihnen die Flügel abgehackt. Die Schwäne lebten noch.«
    Ich hatte einen staubtrockenen Mund beim Sprechen. »Und normalerweise?«
    »Pfeile, Luftgewehre, Dartpfeile.«
    »Und was ist mit der Polizei? Haben Sie das gemeldet?«
    »Natürlich.«
    »Und was hat sie gesagt?«
    »Letzte Woche?«
    »Ja«, nickte ich.
    »Nichts. Ich meine, was soll sie sagen?« Arnold Fowler rutschte plötzlich nervös herum und spielte mit dem Zuckerlöffel.
    »Die Polizei ist also seit letzter Woche nicht wieder bei Ihnen aufgekreuzt?«
    Arnold Fowler sah zum Küchenfenster hinaus über den See.
    »Mr. Fowler?«
    »Was für eine Art Geschichte schreiben Sie, Mr. Dunford?«
    »Eine wahre.«
    »Nun, ich bin gebeten worden, meine wahren Geschichten für mich zu behalten.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Man hat mich gebeten, gewisse Dinge für mich zu behalten.« Er sah mich an, als ob ich vollkommen verblödet sei.
    Ich nahm meinen Becher und trank den Tee aus.
    »Haben Sie noch Zeit, mir zu zeigen, wo Sie die Tiere gefunden haben?« fragte ich.
    »Ja.«
    Wir standen auf und gingen unter dem Schwan durch die Haupthalle.
    An der großen Eingangstür

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