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1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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das?«
    »Buschtrommeln.«
    Ich ließ den Hörer baumeln.
     
     
    Ich gab Gas.
    Sergeant Fraser rannte auf Schuhen Größe 44 durch die Polizeistation.
    Ich war zehn Minuten vom Pflegeheim Hartley entfernt.
    Sergeant Fraser knöpfte sich die Jacke zu und schnappte sich seinen Hut.
    Ich hatte die Scheibe einen Spalt weit geöffnet, mir eine Zigarette angezündet, Radio 3 lief, Vivaldi.
    Sergeant Fraser hockte vor dem Büro des Chefs und sah auf die billige Uhr, die ihm seine Frau letzte Weihnachten geschenkt hatte.
    Ich lächelte, hatte mindestens eine Stunde Vorsprung.
    Mit frischen Blumen in der Hand klingelte ich am Pflegeheim Hartley.
    Ich hatte niemals Blumen ins St. James mitgebracht.
    Hatte meinem Vater nicht einen einzigen Blumenstengel gebracht.
    Das Gebäude, das eher wie ein altes Herrschaftshaus oder Hotel aussah, warf einen kalten Schlagschatten über das ungepflegte Grundstück. Zwei alte Frauen beobachteten mich durchs Erkerfenster eines Wintergartens. Eine der beiden massierte sich die linke Brust und quetschte sich mit den Fingern die Brustwarze.
    Ich fragte mich, wann meine Mutter aufgehört hatte, meinem Vater Blumen mitzubringen.
    Eine rotgesichtige Frau mittleren Alters in einem weißen Kittel öffnete die Tür.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich hoffe. Ich wollte meine Tante Marjorie besuchen. Mrs. Marjorie Dawson.«
    »Wirklich? Ich verstehe. Kommen Sie bitte mit«, sagte die Frau und hielt mir die Tür auf.
    Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wann ich meinen Vater zum letzten Mal besucht hatte, Montag oder Dienstag.
    »Wie geht es ihr?«
    »Nun, wir mußten ihr was für ihre Nerven geben. Nur um sie ein wenig zu beruhigen.« Sie führte mich in eine große Halle mit einer noch größeren Treppe.
    »Tut mir leid, das zu hören«, sagte ich.
    »Ich habe gehört, sie war in einem ziemlich schlechten Zustand, als man sie wieder eingeliefert hat.«
    Wieder, dachte ich und biß mir auf die Zunge.
    »Wann haben Sie denn Ihre Tante das letzte Mal gesehen, Mr ….?«
    »Dunston. Eric Dunston«, sagte ich und streckte ihr lächelnd meine Hand entgegen.
    »Mrs. White«, sagte Mrs. White und gab mir die Hand. »Die Hartleys sind diese Woche außer Haus.«
    »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte ich und war ernsthaft froh, nicht den Hartleys zu begegnen.
    »Sie ist oben. Zimmer 102. Privatzimmer natürlich.«
    Mein Vater war auch in einem Privatzimmer ohne Blumen gelandet, ein Haufen Knochen in einem braunen Ledersack.
    Mrs. White ging in ihrem weißen Kittel voran die Treppe hinauf.
    Die Heizung lief auf vollen Touren und irgendwo summte leise ein Fernseher oder Radio. Der Geruch nach Kantinenessen begleitete uns die Stufen hinauf, so als wäre er mir den ganzen Weg vom St. James Hospital in Leeds gefolgt.
    Oben gingen wir einen überhitzten Flur voller großer Heizkörper entlang und kamen zu Zimmer 102.
    Mein Herz pochte laut und schnell, und ich sagte: »Danke. Ich habe Sie lang genug aufgehalten, Mrs. White.«
    »Ach, Unsinn«, sagte Mrs. White lächelnd, klopfte an die Tür und öffnete sie. »Nicht der Rede wert.«
    Das Zimmer war sehr schön, ins Licht der Wintersonne getaucht, voller Blumen. Radio 2 dudelte was Leichtes.
    Mrs. Marjorie Dawson lag mit geschlossenen Augen auf zwei großen Kissen, unter all den Bettdecken lugte der Kragen ihres Morgenmantels vor. Ein dünner Schweißfilm lag auf ihrem Gesicht und hatte ihre Dauerwelle ruiniert, wodurch sie jünger wirkte, als sie wahrscheinlich war.
    Sie sah aus wie meine Mutter.
    Ich betrachtete die Flaschen Lucozade und Robinson’s Barley Water und entdeckte im Glas das hagere Gesicht meines Vaters.
    Mrs. White ging zu den Kissen und berührte Mrs. Dawson sanft am Arm.
    »Marjorie, meine Liebe. Sie haben Besuch.«
    Mrs. Dawson schlug langsam ihre Augen auf und sah sich im Zimmer um.
    »Möchten Sie Tee ?« fragte mich Mrs. White und zupfte an den Blumen auf dem Nachttisch herum.
    »Nein danke«, sagte ich und schaute Mrs. Dawson an.
    Mrs. White nahm mir die Blumen ab und ging zum Waschbecken in der Ecke. »Gut, ich stell’ nur schnell die Blumen ins Wasser und lass’ Sie dann allein.«
    »Danke«, sagte ich; etwas anderes fiel mir nicht ein.
    Mrs. Dawson sah mich unverwandt an und durch mich hindurch.
    Mrs. White haue die Vase mit Wasser gefüllt.
    »Das ist Eric, meine Liebe. Dein Neffe«, sagte sie, drehte sich zu mir und flüsterte: »Keine Sorge. Manchmal braucht sie eine Weile, um klar zu werden. Bei Ihrem Onkel und seinen Freunden

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