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1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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standen Schachteln, wunderschön eingepackte Geschenke. Ich ging ins Schlafzimmer und sah sie. Sie lag unter einem selbstgemachten Quilt, ihr goldenes Haar auf den Kissen ausgebreitet, die Augen geschlossen. Ich setzte mich auf die Bettkante und knöpfte meine Kleidung auf. Ich glitt leise unter die Decke und kuschelte mich an sie. Sie war kalt, und sie war feucht. Ich fühlte nach ihren Armen und Beinen. Ich setzte mich auf, riß Quilt und Laken fort, alles rot. Nur Kopf und Brust, daran klaffende Wunden, Arme und Beine fehlten. Ich fiel durch die Laken, ihr Herz plumpste mit einem dumpfen Geräusch zu Boden. Ich hob es mit einer bandagierten Hand auf, Staub und Federn klebten am Blut. Ich preßte das dreckige Herz gegen ihre Brust, strich ihr über das goldene Haar. Die Haare lösten sich unter meinen Fingern, glitten ihr vom Kopf und ich lag in einem Bett voller Federn und Blut, in der Nacht vor Weihnachten, und jemand klopfte an die Tür.
    »Was war das?« Ich war hellwach.
    Paula Garland stand auf. »Das Telefon.«
    Sie nahm ihre Strickjacke, zog sie an, während sie die Treppe hinunterging; ich konnte ihren Hintern sehen; die Farben standen ihr nicht.
    Ich lag auf dem Bett und hörte Mäuse oder Vögel im Dachstuhl scharren.
    Nach zwei, drei Minuten setzte ich mich, stand auf, zog mich an und ging nach unten.
    Mrs. Paula Garland wiegte sich in dem cremefarbenen Ledersessel vor und zurück und hielt Jeanettes Schulphoto in Händen.
    »Was ist los? Was ist passiert?«
    »Das war Paul …«
    »Was? Was ist los?« Scheiße, dachte ich, Scheiße, Scheiße. Hatte Visionen von Autounfällen und blutverschmierten Windschutzscheiben.
    »Die Polizei …«
    Ich hockte auf meinen Knien und schüttelte sie. »Was ?«
    »Sie haben ihn.«
    »Wen? Paul?«
    »Irgendeinen Burschen aus Fitzwilliam.«
    »Was?«
    »Die sagen, er sei’s gewesen.«
    »Was denn?«
    »Die sagen, er hat Clare Kemplay umgebracht und …«
    »Was?«
    »Er sagt, er habe noch andere auf dem Gewissen.«
    Plötzlich wirkte alles rot, blutblind.
    »Er sagt, er habe Jeanette umgebracht.«
    »Jeanette?«
    Mund und Augen hatte sie aufgerissen, kein Ton, keine Tränen.
    Ich rannte die Treppe hinauf, meine Hand brannte wie Feuer.
    Dann wieder hinunter, die Schuhe in der Hand.
    »Wohin gehst du?«
    »In die Redaktion.«
    »Bitte geh nicht.«
    »Ich muß.«
    »Laß mich nicht allein.«
    »Ich muß gehen.«
    »Komm zurück.«
    »Natürlich.«
    »Schwörst du?«
    »Ich schwöre.«
    22.00 Uhr, Mittwoch, 18. Dezember 1974.
    Der Motorway glatt, schwarz und naß.
    Ein Arm auf dem Lenkrad, Bleifuß, Eiswind pfiff durch den Viva, und ich dachte an Jimmy James Ashworth.
    »Die haben geglaubt, er war’s, wissen Sie?«
    Ich sah in den Rückspiegel, der Motorway war leer, bis auf Laster und Liebespaare und Jimmy James Ashworth.
    »Ma, halt den Mund!«
    Ausfahrt Zigeunerlager, schwarze Nacht verbarg die Trümmer, ich schüttelte mir in der rechten Hand das Blut warm und dachte an Jimmy James Ashworth.
    »Warum dachten die, Sie hätten es getan, Jimmy?«
    Durch die Weihnachtsbeleuchtung der Innenstadt von Leeds schrieb ich den Artikel schon im Kopf vor und dachte, Jimmy James Ashworth.
    »Fragen Sie sie.«
    Das Gebäude der Yorkshire Post, auf zehn Etagen hell erleuchtet. Ich parkte, grinste und dachte, Jimmy James Ashworth.
    »Sie sind ein kluger Bursche, Jimmy.«
    Ein großer Weihnachtsbaum im Foyer, gläserne Doppeltüren mit weißen Feiertagswünschen besprüht. Ich drückte auf den Fahrstuhlknopf und dachte, Jimmy James Ashworth.
    »Sie haken den Mund.«
    Die Türen gingen auf. Ich betrat den Fahrstuhl und drückte auf die 10, mein Herz schlug, und ich dachte, Jimmy James Ashworth.
    »Er ist ein guter Junge, Mr. Dunford. Er hat nichts gemacht.«
    Die Türen gingen im zehnten Stock wieder auf, das Büro schwirrte nur so, ein Summen überall. Der Blick auf jedem Gesicht brüllte: WIR HABEN IHN !
    Ich packte das Philips Pocket Memo mit der linken Hand und dachte, Jimmy James Ashworth, dankte Jimmy James Ashworth.
    »Was werden Sie denn jetzt über ihn schreiben?«
    Ein Knüller, dachte ich.
     
    Ich platzte ohne zu klopfen in Haddens Büro.
    Im Zimmer war es still wie im Auge eines Hurrikans.
    Jack Whitehead, Zweitagebart und Augen so groß wie Teller, blickte auf.
    »Edward …« Hadden, Brille halb auf der Nase.
    »Ich habe ihn heute nachmittag interviewt. Ich hab ihn verdammt noch mal heute nachmittag interviewt!«
    Hadden stöhnte auf. »Wen?«
    »Nein, hast du nicht«,

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