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1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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bist ein verlogenes kleines Miststück«, zischte ich und legte auf.
    Paula Garland starrte mich immer noch an.
    Mir schwirrte der Kopf.
    »Eddie?«
    Ich stand auf; das Ledersofa klebte an meinen nackten Beinen.
    »Wer war das?«
    »Niemand«, erwiderte ich und schob mich an ihr vorbei die Treppe hinauf.
    »Das kannst du mir nicht antun«, rief sie mir hinterher.
    Ich ging ins Schlafzimmer und nahm eine Schmerztablette aus meiner Jackentasche.
    »Du kannst mich nicht immer so behandeln«, sagte sie, als sie die Treppe heraufkam.
    Ich zog mir die Hose an.
    Paula Garland stand in der Türöffnung. »Es ist meine kleine Tochter, die tot ist, mein Mann, der sich umgebracht hat, mein Bruder, der vermißt wird.«
    Ich mühte mich mit den Knöpfen an meinem Hemd ab.
    »Du hast doch selber entschieden, dich auf diese ganze beschissene Sache einzulassen«, flüsterte sie, und Tränen kullerten auf den Schlafzimmerteppich.
    Mit noch offenem Hemd zog ich meine Jacke an.
    »Niemand hat dich gezwungen.«
    Ich hielt ihr eine schmutziggrau bandagierte Faust unter die Nase und sagte: »Und was ist das? Was, glaubst du, ist das?«
    »Das ist das Beste, was dir jemals passiert ist.«
    »Das hättest du nicht sagen dürfen.«
    »Warum nicht? Was hast du vor?«
    Wir standen oben an der Treppe, umgeben von der Stille der Nacht, und starrten uns gegenseitig an.
    »Es ist dir egal, oder, Eddie?«
    »Ach, Scheiße«, zischte ich, ging die Treppe runter und verließ das Haus.
    »Dir ist das alles scheißegal, oder?«

8. K APITEL
    Die Woche des Hasses.
    Morgendämmerung, Freitag, 20. Dezember 1974.
    Ich erwachte auf dem Fußboden von Zimmer 27 unter einer Schneedecke von Hunderten zerrissener Seiten voller in Rot geschriebener Listen.
    Listen; seit ich Paulas Haus verlassen hatte, hatte ich Listen erstellt.
    Mit einem dicken roten Filzstift in der linken Hand und einem schwirrenden Kopf hatte ich unleserliche Listen auf die Rückseite der Tapeten geschrieben.
    Namenslisten.
    Datenlisten.
    Ortsnamenslisten.
    Mädchennamenslisten.
    Jungennamenslisten.
    Listen von Korrupten, Korrumpierten und Korrumpierbaren.
    Polizistenlisten.
    Zeugenlisten.
    Familienlisten.
    Vermißtenlisten.
    Beschuldigtenlisten.
    Totenlisten.
    Ich ertrank in Listen, ersoff in Informationen.
    Ich wollte gerade eine Liste mit Reporternamen schreiben, zerriß dann aber alles zu Konfetti, schnitt mir dabei in die linke Hand, und die rechte wurde taub.
    SAG DU MIR NICHT, DASS MIR ALLES SCHEISSEGAL IST.
    Ich lag auf dem Rücken und dachte an Listen mit den Frauen, mit denen ich geschlafen hatte.
    Morgendämmerung, Freitag, 20. Dezember 1974.
    Die Woche des Hasses.
     
    Lieferant des Schmerzes.
    9.00 Uhr früh auf dem Dauerparkplatz, Westgate Station, Wakefield.
    Ich saß wie erstarrt in meinem Viva und schaute zu, wie ein dunkelroter Rover 2000 einbog. In dem braunen Umschlag, der neben mir lag, steckte ein einzelnes Schwarzweißphoto.
    Der Rover parkte so weit entfernt von der Einfahrt wie möglich.
    Ich saß da und ließ ihn warten, erst die Nachrichten im Radio, der Waffenstillstand der IRA, Michael John Myshkin bemühte sich nach Kräften, der Polizei bei ihren Untersuchungen behilflich zu sein, Mr. John Stonehouse, MP, war auf Kuba gesehen worden, die Ehe des Nachrichtensprechers Reggie Bosanquet war angeblich zerbrochen.
    Im Rover rührte sich niemand.
    Ich zündete mir noch eine Zigarette an, und nur um ihm zu zeigen, daß ich hier der Chef war, saß ich auch noch Petula Clarks Little Drummer Boy ab.
    Jemand startete den Rover.
    Ich stopfte mir das Photo in die Jackentasche, drückte auf dem Philips Pocket Memo auf Start und machte die Fahrertür auf.
    Als ich im fahlen Licht näherkam, ging der Motor des Rover aus.
    Ich klopfte an die Beifahrertür und öffnete sie.
    Ich warf einen Blick auf den leeren Beifahrersitz, stieg ein und machte die Tür zu.
    »Schauen Sie geradeaus, Stadtrat.«
    Der Wagen war warm und teuer, und es roch nach Hund.
    »Was wollen Sie?« William Shaw klang weder wütend noch verängstigt, sondern nur müde.
    Ich sah ebenfalls nach vorn und versuchte, die dürre graue Respektsperson, die mit Autohandschuhen das Lenkrad umklammert hielt, nicht anzuschauen.
    »Ich habe Sie gefragt, was Sie wollen«, sagte er und schaute mich an.
    »Schauen Sie nach vorn, Stadtrat«, sagte ich, zog das zerknitterte Photo aus der Tasche und legte es vor ihn aufs Armaturenbrett.
    Mit einem Handschuh nahm Stadtrat William Shaw das Photo, auf dem zu sehen war, wie AF ihm

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