Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1974

1974

Titel: 1974 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
Vom Netzwerk:
leeren Milchflaschen kistenweise heimkehrten.
     
    Halb zwölf.
    Ich trabte am Gefängnis vorbei zur Baustelle. Das Bauschild von Foster’s Construction klapperte im Regen.
    Ich schob die Plane vor der Tür eines Rohbaus beiseite; im Radio lief Tubular Bells.
    Drei große, stinkende, rauchende Kerle.
    »Au Scheiße, nich’ du schon wieder«, sagte einer der großen Kerle mit einem Sandwich im Maul und einer Thermosflasche Tee in der Pranke.
    »Ich suche Jimmy Ashworth«, sagte ich.
    »Ist nich’ hier, oder?« sagte ein anderer großer Kerl, der mir den Rücken zuwandte.
    »Und Terry Jones?«
    »Auch nich’«, sagte die Arbeitsjacke, und die anderen beiden grinsten.
    »Wissen Sie, wo sie sind?«
    »Nö«, antwortete das Sandwich.
    »Und der Chef, ist der da?«
    »Irgendwie nich’ dein Glückstag heute.«
    »Vielen Dank«, sagte ich und dachte, erstick dran, du fettes, bescheuertes Stück Dreck.
    »Da nich’ für«, lächelte das Sandwich, und ich ging hinaus.
    Ich schlug den Jackenkragen hoch und grub meine Hände und den Verband tief in die Taschen. Dort fand ich neben Pauls Ronson und dem üblichen Kleingeld eine Feder.
    Ich ging zwischen den Haufen mit billigen Ziegeln und den halbfertigen Häusern zum Devil’s Ditch und dachte an das letzte Schulphoto von Clare mit ihrem nervösen, hübschen Lächeln, das zwischen den schwarzweißen Aufnahmen an den Wänden in meinem Zimmer im Redbeck hing.
    Ich hielt die Feder zwischen den Fingern und sah auf.
    Jimmy Ashworth kam stolpernd über das Brachland auf mich zugerannt, große rote Blutstropfen fielen ihm von der Nase auf die dürre weiße Brust.
    »Was zum Teufel ist mit dir los?« rief ich.
    Er kam langsam näher und tat so, als sei nichts.
    »Was ist passiert?«
    »Verpiß dich.«
    In der Entfernung tauchte Terry Jones aus dem Devil’s Ditch
    auf.
    Ich packte Jimmy am Arm. »Was hat er zu Ihnen gesagt?«
    Jimmy versuchte sich loszureißen und schrie: »Laß mich los!«
    Ich packte den anderen Jackenärmel. »Sie haben sie schon vorher gesehen, stimmt’s?«
    »Verpiß dich!«
    Terry Jones war losgelaufen und wedelte mit den Armen.
    »Sie haben Michael Myshkin von ihr erzählt, stimmt’s?«
    »Scheiße!« brüllte Jimmy, riß sich aus Jacke und Hemd und wollte davonrennen.
    Ich drehte mich um und rang ihn wie ein Rugbyspieler zu Boden.
    Er fiel in den Schlamm zu meinen Füßen.
    Ich drückte ihn zu Boden und brüllte: »Wo zum Teufel haben Sie sie gesehen?«
    »Verpiß dich!« schrie Jimmy Ashworth und sah an mir vorbei hinauf in den weiten grauen Himmel, der ihm ins schlammverschmutzte, blutige Gesicht regnete.
    »Sag mir, wo du sie gesehen hast, verdammt.«
    »Nein.«
    Ich verpaßte ihm mit meiner bandagierten Hand eine Ohrfeige, der Schmerz schoß mir vom Arm bis ins Herz, und ich brüllte: »Spuck’s aus!«
    »Runter, verdammt«, sagte Terry Jones, packte mich am Jackenkragen und zog mich nach hinten.
    »Laß mich los, verdammt noch mal«, stöhnte ich, ruderte mit den Armen und schlug nach ihm.
    Jimmy Ashworth, der sich unter meinen Beinen befreien konnte, stand auf und rannte barbrüstig zu den Häusern; Regen, Schlamm und Blut flossen ihm den Rücken hinunter.
    »Jimmy!« rief ich und rang mit Terry Jones.
    »Halt die Fresse, verdammt«, zischte Jones.
    Drüben bei den Häusern waren die drei Kerle vor die Tür getreten und lachten, als Jimmy an ihnen vorbeirannte.
    »Er hat sie vorher gesehen, verdammt.«
    »Gib endlich Ruhe!«
    Jimmy Ashworth rannte weiter.
    Die drei Männer lachten nicht mehr und kamen zu mir und Terry Jones herüber.
    Er ließ mich los und flüsterte: »Hau bloß ab.«
    »Dafür krieg ich dich dran, Jones.«
    Terry Jones packte Jimmy Ashworths Hemd und Jacke. »Duverplemperst deine Zeit.«
    »Ach ja?«
    »Ja«, lächelte er traurig.
    Ich machte kehrt, ging in Richtung Devil’s Ditch und wischte mir die Hände an der Hose ab.
    Ich hörte jemanden rufen, und als ich mich umdrehte, sah ich Terry Jones, der die Arme hochreckte und die drei Kerle zurück zu den halbfertigen Häusern scheuchte.
    Keine Spur von Jimmy Ashworth.
    Ich stand am Rand der Senke, blickte hinab auf die rostigen Kinderwagen und Fahrräder, die Küchenherde und Kühlschränke und dachte, das ganze moderne Leben liegt da unten, genau wie Clare Kemplay, zehn Jahre alt.
    Mit dreckschwarzen Fingern zog ich die kleine weiße Feder aus der Tasche.
    Dort am Devil’s Ditch sah ich hinauf in den schwarzen Himmel, legte mir die kleine Feder andie blassen Lippen und fragte

Weitere Kostenlose Bücher