1976 - Das Jesus-Papier
für Sonderleistungen bekommen. Wir haben einen Handel geschlossen.«
»Gut für Sie. Sorgen Sie dafür, daß er seinen Teil einhält.«
Der junge Reilly lachte, beugte sich zu ihr hinüber und küßte sie auf die Wange. »Sie sind einmalig!«
Er grinste wieder und ging weiter, weil ein Mädchen am Rand des Patio ihm zugewinkt hatte.
Die jungen Leute mochten Jane. Das tat ihr gut, besonders in einer Zeit wie dieser, in der die Jungen so wenig fanden, das sie mochten oder das ihnen zusagte. Sie mochten sie trotz der Tatsache, daß sie sich weigerte, Konzessionen an die Jugend oder an das Alter zu machen. Ihr Haar hatte graue Strähnen -weiß Gott, mehr als nur Strähnen -, ihr Gesicht Falten, wie es sich gehörte, und es gab keine Diskussion über eine eventuelle kleine Operation - ein Schnittchen hier, ein Straffen dort, wie es so viele ihrer Freundinnen getan hatten. Sie dankte dem Himmel, daß sie ihre gute Figur behalten hatte. Wenn man alles zusammenrechnete - eigentlich nicht schlecht für Sechzig -über Sechzig, verdammt.
»Entschuldigen Sie bitte, Mrs. Fontine?« Das Mädchen war aus dem Chaos gekommen, das Küche hieß.
»Ja, Grace? Probleme?«
»Nein, Ma'am. Da ist ein Herr an der Tür. Er hat nach Ihnen oder Mr. Fontine gefragt.«
»Sagen Sie ihm, er soll herauskommen.«
»Er hat gesagt, das möchte er lieber nicht. Er ist ein ausländischer Herr, ein Priester. Ich dachte, nachdem so viele Leute da sind, würde Mr. Fontine...«
»Ja, Sie haben recht«, unterbrach Jane, die verstand. Victor machte es keine Freude, seinen Gästen zu zeigen, wie schlecht er sich bewegen konnte. »Ich komme schon.«
Der Priester stand in der Halle. Sein schwarzer Anzug saß schlecht und wirkte abgetragen, und sein Gesicht war schmal und müde. Er schien verängstigt.
Jane sprach kühl zu ihm. Sie konnte nicht anders. »Ich bin Mrs. Fontine.«
»Ja, Sie sind die Signora«, erwiderte der Priester verlegen. Er hielt einen großen, etwas fleckigen Umschlag in der Hand. »Ich habe die Bilder gesehen. Ich wollte nicht stören. So viele Wagen.«
»Was ist denn?«
»Ich bin aus Rom gekommen, Signora. Ich bringe einen Brief für den Padrone. Sie sorgen doch dafür, daß er ihn erhält, bitte?« Der Priester hielt ihr den Umschlag hin.
Andrew beobachtete seinen Bruder mit den langhaarigen Studenten an der Bar. Sie trugen ihre Uniformen aus Jeans und Wildleder, jeder hatte ein Medaillon um den Hals. Adrian würde es nie lernen; seine Zuhörerschaft war unnütz. Sie waren unecht. Es war nicht nur das ungekämmte Haar und die ungepflegte Kleidung, die den Soldaten in ihm störten. Dabei handelte es sich nur um Symptome. Nein, es war die Verlogenheit, die mit solch seichten Ausdrucksformen von Nonkonformismus einherging. Im großen und ganzen waren sie unerträglich; widerliche Leute mit ungepflegtem Geist.
Sie sprachen so eindringlich, so wissend von »Bewegungen« und »Gegenbewegungen«, als hätten sie Teil an der Welt des politischen Denkens, bewegten sie mit. Diese Welt - die dritte Welt. Und das war der größte Witz von allen, weil hier nicht einer von Zehntausend wüßte, wie er als Revolutionär handeln müßte. Sie besaßen weder die Überzeugung noch den Mumm, geschweige denn das Gewußt-Wie.
Sie waren bloß Aussteiger, die Plastikbeutel voll Scheiße warfen, wenn niemand auf ihr Geschrei hören wollte. Sie waren Spinner, und er konnte Spinner nicht ertragen. Aber Adrian verstand das nicht. Sein Bruder suchte Werte, wo es keine gab. Adrian war ein Narr; aber das wußte er schließlich schon seit sieben Jahren. Vor sieben Jahren hatte er herausgefunden, welch ein großer Narr sein Bruder war. Adrian war ein Aussteiger im schlimmsten Sinne, denn er hatte allen Grund dazu, keiner zu sein.
Adrian blickte von der Bar zu ihm auf. Andrew wandte sich ab. Sein Bruder langweilte ihn, und mitanzusehen, wie er solche Leute zu bekehren versuchte, widerte ihn an.
Der Soldat hatte das nicht immer so empfunden. Vor zehn Jahren, als er West Point verlassen hatte, hatte er nicht mit der gleichen Heftigkeit gehaßt, wie er sie jetzt empfand. Er hielt nicht viel von Adrian und seiner Sammlung von Aussteigern, aber da war kein Haß. So wie die Johnson-Mafia anfing, Südostasien anzupacken, gab es durchaus Gründe, diese Opposition zu verstehen. Aussteigen.
Übersetzung: Hanoi vernichten. Oder aussteigen.
Er hatte seine Position immer wieder erklärt. Den Spinnern. Adrian. Aber niemand wollte sie von einem Soldaten hören.
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