1976 - Das Jesus-Papier
»Soldatenbubi« hatten sie ihn genannt und »Kanonenschädel« und »Knöpfchendrücker« und »Atomarsch«.
Aber es waren nicht die Namen. Jeder, der West Point und Saigon hinter sich hatte, konnte damit fertig werden. Am Ende war es ihre Dummheit. Nicht etwa, daß sie sich damit begnügt hätten, daß die wichtigen Leute sich über sie ärgerten - nein, sie mußten sie reizen, sie wütend machen und es schließlich so weit bringen, daß es peinlich für sie wurde. Und das war die Dummheit im Quadrat. Selbst diejenigen, die ihrer Meinung waren, trieben sie in die Opposition.
Vor sieben Jahren hatte Andrew in San Francisco versucht, seinem Bruder das klarzumachen, hatte sich Mühe gegeben, ihn dahin zu bringen, daß er begriff, wie falsch und dumm das war, was er tat - und sehr gefährlich für den Bruder, der Soldat war.
Er war nach zweieinhalb Jahren im Mekong-Delta mit einer der besten Personalakten in der ganzen Army zurückgekehrt.
Seine Kompanie hatte die besten Leistungen im ganzen Bataillon aufzuweisen, er war zweimal dekoriert worden, und er hatte nicht einmal einen Monat lang die Leutnantsterne getragen, als man ihm schon die Streifen eines Captain verliehen hatte. Er war für die Verhältnisse der Streitkräfte etwas sehr Seltenes: ein junger, brillanter Militärstratege aus einer ungeheuer wohlhabenden, einflußreichen Familie. Er war auf dem Weg nach oben - wo er hingehörte. Man flog ihn in die Staaten zurück mit der Absicht, ihn neu einzusetzen, womit das Pentagon auf seine Art zum Ausdruck brachte: Das ist unser Mann. Man sollte ihn im Auge behalten. Reich, solide, zukünftiges Stabsmaterial. Noch ein paar Einsätze - in ausgewählten Bereichen ein paar Jahre -, dann Militärakademie.
Es war nie ein Schaden für das Pentagon, einen Mann wie ihn zu begünstigen, besonders wenn es gerechtfertigt war. Die Army brauchte Männer aus mächtigen Familien, sie hatten wenig genug von der Sorte.
Aber gleichgültig, was das Pentagon begünstigte oder die Army brauchte, als er vor sieben Jahren in Kalifornien aus dem Flugzeug gestiegen war, waren G2-Agenten aufgetaucht. Sie hatten ihn mit in ein Büro genommen und ihm dort eine zwei Monate alte Zeitung gegeben. Auf der zweiten Seite stand ein Bericht über einen Aufruhr im Präsidium der Army in San Francisco. Dem Artikel waren Fotografien des Krawalls beigefügt, und eine zeigte eine Zivilistengruppe, die zur Unterstützung der meuternden Soldaten einen Protestmarsch veranstaltet hatte. Ein Gesicht war mit rotem Bleistift angekreuzt.
Es war Adrian. Es schien unmöglich, aber da war er. Er hätte nicht dort sein sollen; das war sein letztes Jahr auf der Universität in Boston. Aber er war nicht in Boston, er war in San Francisco und gewährte drei rechtskräftig verurteilten Deserteuren Unterschlupf, die entkommen waren. Das war es, was die G2-Männer sagten. Sein Zwillingsbruder arbeitete für den Feind. Verdammt, genau das waren sie, und genau das tat er! Das Pentagon würde das nicht gerade mit Freuden aufnehmen. Sein Bruder! Sein Zwilling!
So hatte G2 ihn nach Norden geflogen, und er hatte seine Uniform ausgezogen und war in Zivil durch die Straßen von Haight-Ashbury gegangen, bis er Adrian gefunden hatte.
»Das sind keine Männer, das sind verwirrte Kinder«, sagte sein Bruder in einer ruhigen Bar. »Man hat ihnen nie gesagt, was sie für Alternativen haben, was für Rechte. Man hat sie überfahren.«
»Sie haben wie jeder andere ihren Eid abgelegt. Da kann man keine Ausnahmen machen«, hatte Andrew erwidert.
»Ach, komm. Zwei von ihnen wußten gar nicht, was dieser Eid bedeutete, und der andere hatte es sich wirklich anders überlegt. Aber niemand will ihm zuhören. Die Richter wollen ein Exempel, und die Verteidiger wollen keine Wellen machen.«
»Manchmal muß man ein Exempel statuieren«, hatte der Soldat insistiert.
»Das Gesetz sagt, daß sie Anspruch auf einen fähigen Verteidiger haben. Nicht Trinkkumpane aus der Kaserne, die gut aussehen wollen...«
»Jetzt versteh doch, Adrian!« unterbrach er ihn. »Dort draußen wird Krieg geführt! Solche Drecksäcke können einem das Leben kosten.«
»Nicht, wenn sie hier sind.«
»Doch! Weil andere nämlich anfangen zu fragen, warum sie dort drüben sind.«
»Vielleicht sollten sie das.«
»Du sprichst hier von Rechten, nicht wahr?« fragte der Soldat.
»Das möchte ich meinen.«
»Nun, hat dann dieser Schütze Arsch, der in einem Reisfeld Streife geht, keine? Vielleicht hat er auch
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