1976 - Das Jesus-Papier
der Furcht manipuliert zu werden. Eye Corps war gefährlich, man mußte es herausreißen, es austilgen.
Damit würden sie sich zufriedengeben. Sie würden den Militäranwälten eine Blankovorladung aushändigen und es ihnen überlassen, die ganze Angelegenheit still zu erledigen, solange die Militäranwälte sie erledigten und sie nicht vertuschten. Wahrscheinlich war jetzt nicht die Zeit für demoralisierende Prozesse und lange Gefängnisstrafen. Die Schuld war so weit verbreitet, und die Motive waren so komplex. Aber eine unwiderrufliche Bedingung gab es: Die selbsternannte Elite mußte die Uniform ablegen; das Militär mußte sein Haus in Ordnung bringen.
Welche Ironie doch dahintersteckte. In San Francisco hatte Andrew im Namen der Militärgesetze auf primitivste Art gepfiffen. Jetzt, sieben Jahre später, war er, Adrian, es, der pfiff. Nicht so primitiv, hoffte er, aber das Gesetz war nicht weniger eindeutig. Die Anklage lautete auf Behinderung der Justiz.
So viel hatte sich verändert. Vor neun Monaten war er Assistent der Staatsanwaltschaft in Boston gewesen, zufrieden, das zu tun, was er tat, sich einen Ruf aufzubauen, auf den er seine Zukunft begründen konnte. Sie selbst begründen konnte, nicht sie sich geben zu lassen, weil er Adrian Fontine war, Sohn von Victor Fontine, Limited; Bruder des gefeierten Majors Andrew Fontine von West Point, Krieger ohne Makel.
Und dann hatte ihn Anfang Oktober ein Mann angerufen und ihn aufgefordert, mit ihm am späten Nachmittag in der Copely Bar einen Drink zu nehmen. Der Name des Mannes war James Nevins, und er war ein Neger; außerdem war er Anwalt und für das Justizministerium in Washington tätig.
Nevins war der Sprecher einer kleinen Gruppe unzufriedener, von allen Seiten bedrängter Regierungsanwälte, die unter den Taktiken des wohl am stärksten politisierten Justizministeriums aller Zeiten litten. Der Satz »Hier spricht das Weiße Haus« bedeutete einfach, daß wieder irgendwo eine Manipulation stattfand. Die Anwälte machten sich Sorgen, echte Sorgen. Diese Manipulationen führten das Land zu nahe an die Schreckensvorstellung eines Polizeistaates heran.
Die Anwälte brauchten Hilfe. Hilfe von außerhalb. Jemanden, an den sie ihre Informationen weiterleiten konnten. Jemanden, der organisieren und auswerten konnte, der imstande war, eine Kommandozentrale aufzubauen und zu finanzieren, wo sie sich insgeheim treffen und darüber diskutieren konnten, ob sie Fortschritte machten.
Jemanden, ganz offen gesagt, den man nicht unter Druck setzen konnte. Aus ganz offensichtlichen Gründen paßte diese Beschreibung auf Adrian Fontine. War er bereit anzunehmen?
Adrian hatte Boston nicht verlassen wollen. Er hatte seine Arbeit, sein Mädchen. Ein leicht verrücktes, brillantes Mädchen, das er anbetete. Barbara Pierson, B.A., M.A., Ph.D., Gastdozentin an den Anthropologischen Laboratorien der Harvard University. Ein Mädchen mit einem schnellen, kehligen Lachen, hellbraunem Haar und dunkelbraunen Augen. Sie hatten eineinhalb Jahre zusammengelebt. Es war nicht leicht, wegzugehen. Aber Barbara hatte für ihn gepackt und ihn weggeschickt, weil sie wußte, daß er gehen mußte.
Genauso wie er vor sieben, acht Jahren hatte gehen müssen. Damals hatte er auch Boston verlassen müssen. Eine Depression, unter der er litt, war damals der Grund gewesen. Er war der wohlhabende Sohn eines mächtigen Vaters; der Zwillingsbruder eines Mannes, den das militärische Establishment in Presseberichten als einen der fähigsten jungen Männer der Army vorstellte.
Was blieb da übrig? Für ihn? Wer war er?
So floh er der vertrauten Umgebung eines Lebens, um herauszufinden, was er für sich selbst finden konnte. Was ihm und nur ihm gehörte. Es war seine eigene persönliche Krise; er konnte sie niemandem erklären. Am Ende fand er sich in San Francisco, wo es Kampf gab, eine Auseinandersetzung, die er verstehen konnte. Wo er helfen konnte. Bis der makellose Krieger auf den Plan trat und die Szene zerriß.
Adrian lächelte. Er erinnerte sich an den Morgen nach jener schrecklichen Nacht in San Francisco. Er hatte sich bis zur Sinnlosigkeit betrunken und erwachte im Haus eines Laienanwalts in Cape Mendosino, geschwächt, krank und sich immer wieder übergebend.
»Wenn Sie der sind, der Sie sagen, dann können Sie mehr tun als irgendeiner von uns«, sagte der Anwalt in Cape Mendosino an jenem Morgen. »Verdammt, mein alter Herr war Hausmeister bei May Inc.«
In den sieben Jahren, die
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