1976 - Das Jesus-Papier
dazwischen lagen, hatte Adrian es versucht. Aber er wußte, daß er erst begonnen hatte.
«Das ist eine konstitutionelle Zweideutigkeit. Stimmt das nicht, Adrian?«
»Was? Entschuldigung, ich habe nicht zugehört.« Die Studenten an der Bar hatten miteinander diskutiert; jetzt waren alle Augen auf ihn gerichtet.
»Pressefreiheit gegen das Recht auf einen unbeeinflußten Prozeß«, sagte ein intensiv wirkendes junges Mädchen und stolperte über die Worte.
»Das ist wohl eine Grauzone, denke ich«, erwiderte Adrian. »Jeder Fall wird für sich beurteilt.«
Die jungen Leute wollten mehr, als er ihnen gegeben hatte, also fuhren sie fort, einander anzuschreien.
Grauzone. Das Eye Corps von Saigon war vor ein paar Wochen auch eine Grauzone gewesen. Gerüchte hatten sich bis nach Washington verbreitet, daß es eine kleine Gruppe junger Senioroffiziere gab, die regelmäßig Wehrpflichtige auf den Docks und in den Lagerhäusern unter Druck setzten, Kopien von Versandpapieren und Lieferplänen forderten. Kurz darauf behauptete ein Kläger in einem der zahlreichen, nur mit halbem Herzen durchgeführten Kartellprozesse im Justizministerium, daß aus den Büros seiner Firma in Saigon Akten gestohlen worden waren, die somit als illegal erworbenes Beweismaterial zu gelten hätten. Der Fall würde niedergeschlagen werden.
Die Anwälte im Justizministerium fragten sich, ob es eine Verbindung zwischen der seltsamen Offiziersgruppe und den Vertragsfirmen des Pentagon gab. War das Militär so weit gegangen? Die Vermutung reichte aus, um Jim Nevins nach Saigon zu schicken.
Der Negeranwalt fand, was er suchte. Er fand es in einem Lagerhaus in der Frachtzone von Tan Son Nhut. Einen Offizier nämlich, der gerade dabei war, eine illegale Abschrift von Informationen über Waffenlieferungen anzufertigen, Waffenlieferungen, die als Verschlußsache galten. Als er den Offizier mit einer offiziellen Anklageerhebung bedrohte, brach der Widerstand des Mannes zusammen, und er lieferte Informationen über das Eye Corps.
Es handelte sich um acht Offiziere; der Mann kannte die Namen von sieben. Der achte befand sich in Washington, mehr wußte er nicht.
Andrew Fontine stand ganz oben auf der Liste.
Eye Corps. Nette Burschen, dachte Adrian. Genau das, was das Land brauchte: eine Schutzstaffel, die es sich zur Aufgabe gesetzt hatte, die Nation zu retten.
Vor sieben Jahren, in San Francisco, hatte sein Bruder ihm keine Warnung zugehen lassen, ehe die Aktion einsetzte und die Sirenen sich heulend in Haight-Ashbury sammelten. Adrian würde rücksichtsvoller sein. Er würde Andrew fünf Tage Zeit geben. Es würde keine Sirenen geben, keine Krawalle - keine acht Jahre Gefängnis. Aber der gefeierte Major Andrew Fontine würde den Militärdienst quittieren.
Und obwohl die Arbeit in Washington noch bei weitem nicht abgeschlossen war, würde Adrian für eine Weile nach Boston zurückkehren. Zurück zu Barbara.
Er war müde. Und er litt unter dem, was ihm in einer Stunde bevorstand. Es war ein echter Schmerz. Was auch immer er sonst sein mochte, Andrew war sein Bruder.
Die letzten Gäste hatten das Haus verlassen. Die Mitglieder des Orchesters packten ihre Instrumente ein, und die Leute vom Partyservice säuberten den Rasen. Der Himmel wurde dunkler, das lag ebenso an den drohenden Wolken über dem Meer wie dem Einbruch der Nacht.
Adrian ging über den Rasen auf die Natursteintreppe zu und von dort aus zum Bootshäuschen. Andrew erwartete ihn; er hatte ihn gebeten, dort zu sein.
»Alles Gute zum Geburtstag«, sagte Andrew, als Adrian durch die Tür des Bootshauses trat. Andrew lehnte an der Wand.
»Dir auch«, antwortete Adrian und blieb stehen. »Bleibst du über Nacht?«
»Du?« fragte Andrew.
»Das wollte ich eigentlich. Der alte Herr sieht ziemlich schlecht aus.«
»Dann bleibe ich nicht«, sagte der Soldat höflich.
Adrian machte eine Pause. Er wußte, daß der andere von ihm erwartete, daß er jetzt etwas sagte. Er wußte nicht recht, wie er anfangen sollte, also sah er sich statt dessen im Bootshaus um. »Wir haben hier unten oft Spaß gehabt.«
»Wolltest du über die alten Zeiten reden? Hast du mich deshalb hierhergebeten?«
»Nein... ich wollte, es wäre so einfach.«
Der Soldat schnippte seine Zigarette ins Wasser. »Ich höre, du hast Boston verlassen. Du bist in Washington.«
»Ja. Für eine Weile. Ich dachte die ganze Zeit, wir würden uns mal dort begegnen.«
»Das bezweifle ich von vornherein«, sagte der Major und
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