1976 - Das Jesus-Papier
groß.«
»Ich verstehe«, sagte Adrian, lehnte sich in seinem Sessel zurück und blickte auf die Papiere. »Du erwähnst den Namen Anaxas, aber das ist etwas undeutlich. Du sagst, der >Vater von Anaxas war der Fahrer des Zuges< , der von dem Xenope-Priester getötet worden ist. Wer ist Anaxas?«
»Für den Fall, daß jene Papiere in andere Hände als die euren gefallen wären, wollte ich, daß man keine Verbindungen herstellen kann. Anaxas ist Theodore Dakakos.«
Ein knackendes Geräusch ertönte plötzlich. Der Soldat hatte einen Bleistift in der Hand gehalten und ihn nun in zwei Stücke zerbrochen. Vater und Bruder sahen ihn an. Andrew sagte nur drei Worte.
»Tut mir leid.«
»Ich habe den Namen schon einmal gehört«, fuhr Adrian fort. »Ich weiß nur nicht mehr genau, wo.«
»Er ist Grieche. Ein erfolgreicher Schiffahrtsunternehmer. Der Priester in dem Zug war der Bruder seines Vaters, sein Onkel. Ein Bruder hat den anderen getötet. Xenope hatte es befohlen, und der Ort der Kassette wurde mit ihnen begraben.«
»Das weiß Dakakos?« fragte der Soldat leise.
»Ja. Wo er genau hingehört, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß er auf der Suche nach Antworten ist. Und auf der Suche nach der Kassette.«
»Kannst du ihm vertrauen?« fragte der Anwalt.
»Nein. Wenn es um Saloniki geht, vertraue ich niemandem.« Victor atmete tief ein. Das Reden bereitete ihm jetzt Schwierigkeiten; er war kurzatmig geworden. Seine Kräfte begannen zu versiegen.
»Bist du in Ordnung?« Jane trat schnell vor Adrian neben das Bett.
Sie beugte sich über ihren Mann und legte ihm die Hand auf die Wange.
»Ja«, antwortete er und lächelte ihr zu. Dann sah er Andrew und Adrian an und hielt sie mit seinen Augen fest.
»Ich erbitte das, was ich von euch erbitte, nicht leichten Herzens. Ihr habt euer eigenes Leben, eure Interessen sind die euren. Ihr habt Geld.« Victor hob schnell die Hand. »Ich beeile mich, hinzuzufügen, daß auch das euer Recht war. Ich selbst habe nicht weniger bekommen, und das solltet auch ihr nicht. In dieser Beziehung sind wir eine privilegierte Familie. Aber dieses Privileg erlegt denjenigen, die es genießen, auch Verantwortung auf.
Es ist unausweichlich, daß gelegentlich auch Zeiten kommen, in denen man euch abverlangt, eure eigenen Neigungen etwas unterzuordnen, was unerwartet dringlich ist. Ich muß euch sagen, daß diese Dringlichkeit jetzt gegeben ist.
Ihr habt euch getrennt. Widersacher, so vermute ich, sowohl in bezug auf eure Philosophie als auch auf die Politik. Daran ist nichts Schlechtes. Aber diese Differenzen sind belanglos im Vergleich zu dem, was euch jetzt bevorsteht. Ihr seid Brüder, die Enkel von Savarone Fontini-Cristi, und ihr müßt jetzt das tun, was sein Sohn nicht tun konnte. Gegen das Privileg gibt es keinen Einspruch. Sucht ihn nicht.«
Er war fertig. Das war alles, was er sagen wollte; jeder Atemzug schmerzte ihn.
»In all den Jahren hast du nie gesagt...« Adrians Augen blickten wieder fragend, in ihnen waren Angst und Trauer. »Mein Gott, was mußt du gefühlt haben.«
»Ich hatte keine große Wahl«, erwiderte Victor so leise, daß man ihn kaum hören konnte. »Ich konnte produktiv sein oder als Neutrum sterben. Es war keine schwierige Wahl.«
»Du hättest sie töten sollen«, sagte der Soldat.
Sie standen in der Einfahrt vor dem Haus in North Shore. Andrew lehnte an der Motorhaube seines gemieteten Lincoln Continental, die Arme über der gebügelten Uniform verschränkt, und die Nachmittagssonne spiegelte sich in den Messingknöpfen und seinen Rangabzeichen.
»Er macht es nicht mehr lange«, sagte er.
»Ich weiß«, sagte Adrian. »Er weiß es auch.«
»Da sind wir jetzt.«
»Ja, da sind wir«, pflichtete ihm der Anwalt bei.
»Was er will, ist für mich leichter als für dich.« Andrew blickte zu den Fenstern des vorderen Schlafzimmers im ersten Stock hinauf.
»Was soll das bedeuten?«
»Ich bin praktisch eingestellt. Du nicht. Wenn wir zusammenarbeiten, schaffen wir mehr, als wenn jeder für sich vorgeht.«
»Ich bin überrascht, daß du einräumst, ich könnte dir helfen. Das muß deiner Eitelkeit weh tun.«
»In strategischen Entscheidungen gibt es kein Ego. Nur das Ziel zählt.« Andrew sprach ganz beiläufig. »Wenn wir die Möglichkeiten aufteilen, können wir die Zeit halbieren. Seine Erinnerungen stehen nicht miteinander in Verbindung; er schweift immer wieder ab. Und seine Erinnerung an das Terrain ist verwirrt; darin habe ich etwas Erfahrung.«
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