1976 - Das Jesus-Papier
gebrauchen!«
»Ein Inlandspaß, nehme ich an«, sagte Apfel und verlangsamte die Fahrt, weil vor ihnen eine Kurve herankam.
»Genau das! Diese Kiste ist dem Ufficiale Segreto zugeteilt. Das ist der Verein, der zu Mussolini Zugang hat.«
»So etwas mußte es ja sein«, meinte Apfel und nickte. »Der Motor in dieser alten Kiste ist erstklassig.«
»Das ist ein Lamborghini«, sagte Vittorio leise.
»Was?« Apfel hob die Stimme, um das Brüllen der Maschine auf der geraden Straße zu übertönen. Sie näherten sich dem Stadtrand von Alba.
»Ich sagte, das ist ein Lamborghini.«
»Ja«, antwortete Apfel, dem der Name offenbar nichts sagte. »Nun, lassen Sie sich nur weiterhin solche Dinge einfallen. Italienische Dinge, meine ich. Das werden wir noch brauchen können, ehe wir die Küste erreichen.«
Birne wandte sich Fontini-Cristi zu. Das freundliche Gesicht des Engländers war in der Finsternis kaum zu erkennen. Er sprach mit sanfter Stimme, aber das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie ernst er das meinte, was er sagte.
»Ich bin sicher, daß Ihnen das alles sehr seltsam vorkommen muß und verdammt unbequem. Aber dieser Bolschewik hatte schon recht. Merken Sie sich, was Sie können. Das schwierigste an diesem Geschäft ist nicht das Tun. Das Schwierige ist, daß man sich daran gewöhnt, es zu tun, wenn Sie verstehen, was ich meine. Man muß einfach akzeptieren, daß das die Wirklichkeit ist. Dann begreift man es mit der Zeit. Wir haben das alle durchgemacht, und machen es übrigens immer wieder durch. Das ist alles auf seine Art verrückt und empörend. Aber irgend jemand muß es tun, das sagen die uns immer wieder. Und ich sage nur das: Sie kriegen auf diese Weise eine praktische Ausbildung mit. Habe ich nicht recht?«
»Ja«, sagte Vittorio leise und wandte sich nach vorn. Die auf sie zurasende Straße, die von den Scheinwerferbalken angestrahlt wurde, hypnotisierte ihn förmlich. Und sein Bewußtsein erstarrte bei dem Gedanken an die Frage, der er einfach nicht mehr ausweichen konnte.
Eine Ausbildung wofür?
5
30. DEZEMBER 1939 CELLE LIGURE, ITALIEN
Es waren zwei Stunden des Wahnsinns. Sie bogen von der Küstenstraße ab, schleppten die Leiche des Fahrers in ein Feld, zogen sie nackt aus und entfernten alles, was ihn identifizieren könnte.
Dann kehrten sie zur Straße zurück und jagten nach Süden in Richtung Savona. Die Straßenkontrollen ähnelten jenen an der Via Canelli: einzeln stehende Wächterhäuschen neben Telefonzellen, jeweils mit zwei Soldaten besetzt. Es gab vier Kontrollpunkte. Drei davon passierten sie mit Leichtigkeit. Man las das dicke, offizielle Dokument, das bestätigte, daß das Fahrzeug dem Ufficial Segreto zugeteilt war, mit Respekt und ein wenig Angst. Fontini-Cristi übernahm an allen drei Punkten das Reden.
»Sie sind verdammt schnell«, sagte Apfel vom vorderen Sitz aus und schüttelte in zufriedener Überraschung den Kopf. »Und Sie hatten auch recht, dort hinten zu bleiben. Sie kurbeln das Fenster herunter wie ein Fürst aus dem Pandschab.«
Die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer fielen auf das Schild:
ENTRATE MONTENOTTE SUD
Vittorio erkannte den Namen. Eine der mittelgroßen Städte, die den Golf von Genua umgaben. Er erinnerte sich daran, daß er vor zehn Jahren hiergewesen war, als er und seine Frau auf ihrer letzten Reise nach Monte Carlo die Küstenstraße hinuntergefahren waren. Eine Reise, die eine Woche später tödlich geendet hatte. Des Nachts in einem zu schnell fahrenden Wagen.
»Die Küste ist etwa zwanzig Kilometer von hier entfernt, glaube ich«, sagte Apfel zögernd und riß damit Fontini-Cristi aus seinen Gedanken.
»Eher zwölf«, verbesserte ihn Vittorio.
»Sie kennen diese Gegend?«
»Ich bin ein paarmal nach Cap Ferrat und Villefranche gefahren.« Warum sagte er nicht Monte Carlo. War der Name ein so großes Symbol für ihn? »Gewöhnlich auf der Straße von Turin, aber einige Male auch auf der Uferstraße von Genua. Montenotte Sud ist wegen seiner Gasthäuser bekannt.«
»Kennen Sie dann vielleicht eine Landstraße, die nördlich von Savonna - ich glaube durch ausgedehntes Hügelland -nach Celle Ligure führt?«
»Nein. Da sind überall Berge. Aber ich kenne Celle Ligure. Das liegt direkt am Wasser, gleich hinter Albisola. Ist das unser Zielort?«
»Ja«, sagte Apfel. »Das ist unser Ersatz-Rendezvous mit den Korsen. Falls irgend etwas passieren sollte, war vereinbart, daß wir nach Celle Ligure zu einem Fischerpier südlich der
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