1976 - Das Jesus-Papier
gut. Sie sagten, seine Skizze sei ganz akkurat. Wenn er hier ist, werden wir ihn finden.«
Fontine erhob sich aus dem Sessel, ging auf das Fenster zu und sah, daß man schwere schwarze Vorhänge vorgezogen hatte, um alles Licht im Raum festzuhalten. Er drehte sich um und blickte geistesabwesend auf eine große Karte von Europa an Teagues Wand. In dem dicken Papier steckten Dutzende roter Fähnchen.
»Das ist der Zug aus Saloniki, nicht wahr?« Er stellte die Frage ganz leise, brauchte gar keine Antwort darauf.
»Das würde den Deutschen nicht erklären. Wenn er ein Deutscher ist...«
»Ich habe es Ihnen gesagt«, unterbrach Victor und sah den Brigadier an. »Er war dort. In Campo di Fiori. Damals hatte er mich auch erinnert, so daß ich glaubte, ich hätte ihn schon einmal gesehen.«
»Und Sie konnten sich nie erinnern, wo das war?«
»Nein. Manchmal macht mich das ganz verrückt. Ich weiß es nicht!«
»Können Sie denn keine Assoziationen versuchen? Gehen Sie etwas zurück. Denken Sie an Städte oder Hotels. Fangen Sie mit geschäftlichen Verhandlungen, mit Verträgen an. Fontini-Cristi hatte Investitionen in Deutschland.«
»Das habe ich alles versucht. Nichts. Nur das Gesicht, und das ist auch nicht besonders deutlich. Aber die weiße Strähne in seinem Haar, die ist in mir haften geblieben.« Victor kehrte müde zu seinem Sessel zurück, beide Hände über den geschlossenen Augen. »O Gott, Alec, ich habe schreckliche Angst.«
»Dazu haben Sie gar keinen Anlaß.«
»Sie waren in jener Nacht nicht in Campo di Fiori.«
»Es wird keine Wiederholung in London geben. Oder sonstwo, was das betrifft. Morgen wird man Ihre Frau ins Air Ministry begleiten, und dort wird sie ihre Arbeit - Akten, Briefe, Landkarten, eben alles - einem anderen Beamten übergeben. Das Ministerium hat mir zugesagt, daß die Übergabe bis zum frühen Nachmittag abgeschlossen sein wird. Anschließend wird man sie in eine sehr komfortable Wohnung auf dem Land bringen. Isoliert und völlig sicher. Dort wird sie bis zu Ihrer Rückkehr bleiben, oder bis wir diesen Mann gefunden haben. Und geknackt.«
Fontine ließ die Hände von den Augen sinken. Er sah Teague fragend an. »Wann haben Sie das organisiert? Dafür war doch gar keine Zeit.«
Teague lächelte, aber es war nicht jenes beunruhigende Lächeln, an das Victor gewöhnt war. Es war eher ein sanftes Lächeln. »Das war ein Eventualplan seit dem Tag Ihrer Heirat. Wenige Stunden darauf hatten wir den schon entwickelt, um es genau zu sagen.«
»Und sie wird in Sicherheit sein?«
»Niemand in England ist sicherer. Offen gestanden, ich habe ein doppeltes Motiv dafür. Die Sicherheit Ihrer Frau steht in direkter Beziehung zu Ihrem Geisteszustand. Sie haben einen Auftrag zu erledigen, und ich werde den meinen erledigen.«
Teague sah auf die Wanduhr und dann auf seine Armbanduhr. Die Uhr ging fast eine Minute zurück, seit er sie das letztemal nachgestellt hatte. Wann war das gewesen? Es mußten wohl acht oder zehn Tage sein. Er würde sie dem Uhrmacher in Leicester Square zurückbringen müssen.
Wahrscheinlich war seine Versessenheit auf Zeit und Pünktlichkeit albern. Er hatte die Spitznamen schon gehört: »Stoppuhren-Alec«, »Alec, der Sekundenzeiger«. Seine Kollegen verspotteten ihn oft. Wenn er eine Frau und Kinder hätte, würde ihm Zeit nicht so wichtig sein. Aber das war eine Entscheidung, die er schon vor Jahren getroffen hatte. In seinem Beruf war es besser, keine solche Bindungen zu haben. Er war kein Mönch. Natürlich hatte es Frauen gegeben. Aber keine Ehe. Das kam nicht in Frage; das war für ihn ein Hindernis, eine Last.
Diese passiven Gedanken lösten aktive Überlegungen in ihm aus: Fontine und seine Ehe. Der Italiener war der perfekte Koordinator für die Operation Loch Torridon, und doch gab es jetzt ein Hindernis - seine Frau.
Verdammt! Er hatte mit Brevourt zusammengearbeitet, weil er wirklich Fontini-Cristi einsetzen wollte. Wenn eine bequeme Beziehung zu einer englischen Frau beiden Zielen dienlich war, war er bereit, mitzumachen. Aber nicht so weit!
Und jetzt, wo, zum Teufel, war Brevourt eigentlich? Er hatte aufgegeben. Er war einfach verblaßt, nachdem er im Namen eines unbekannten Güterzuges aus Saloniki außergewöhnliche Forderungen an Whitehall gestellt hatte.
Oder hatte er nur so getan, als wäre er vom Schauplatz verschwunden?
Anscheinend wußte Brevourt, wann es Zeit war, aufzugeben. Zeit, sich von etwas zu distanzieren, das drohte, peinlich
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