1980 Die Ibiza-Spur (SM)
schien unverletzt. Herles war nun wieder ganz wach.
»Es ist deine Schuld«, sagte Hemmerich, »siehst du das ein?«
Herles antwortete nicht, und so fuhr Hemmerich fort:
»Okay, ich müßte dich jetzt in eine Klinik bringen oder wenigstens einen Arzt holen. Damit du es gleich weißt. Beides werde ich unterlassen! Nicht, daß ich dich unbedingt quälen will. Aber ich will, daß ihr meinen Bruder freigebt, und dafür begehe ich jede Schäbigkeit, die mir einfällt, jedenfalls an Leuten, die ihn festhalten, also auch an dir. Wenn ich jetzt einen Arzt hole, entgleitest du meiner Kontrolle, dann wäre dieses Haus nicht mehr sicher und die Chance, meinen Bruder zu befreien, nur noch minimal.«
Eine Antwort des Gefangenen wartete er gar nicht erst ab. Er schob Christiane durch die Tür, ging mit ihr ins Wohnzimmer. Er zündete zwei Zigaretten an, reichte ihr eine hinüber, sah ihre Hand zittern. »Beruhige dich«, sagte er, »es ist überstanden.«
»Ich hätte wohl doch von Zeit zu Zeit nach ihm sehen sollen«, antwortete sie, »dann wäre das nicht passiert.«
»Es ist meine Schuld«, sagte er. »Ich bin ein Idiot! Ein Hanfseil, ein Stahlrahmen mit scharfen Kanten und dann mehr als drei Stunden Zeit, das mußte ja schiefgehen! Da hätten wir ihm auch gleich ein Messer dalassen können. Kam er ins Wohnzimmer?«
»Ja. Die Tür ging plötzlich auf, und er stand vor mir. Lachend. Ein ganz böses, hinterhältiges Lachen war das. Ich sprang auf, sah mich verloren. Es ging einmal um den Tisch herum und dann hinaus. Er dicht hinter mir. Und da sah ich das Auto. Es kam mir nicht in den Sinn, daß du es sein könntest. Aber du warst es, Gott sei Dank!«
»Und Gott sei Dank bist du umgekehrt, als ich drauf und dran war, das Duell zu verlieren!«
»Ich konnte – ich konnte ihm nicht einfach den Schädel einschlagen«, sagte sie noch einmal, »es war plötzlich gar nicht mehr er, war einfach nur, wie soll ich es sagen, eine zerbrechliche menschliche Hirnschale. Im Licht. Unter meinen Händen. Unter meinem Stein. Und da konnte ich’s nicht. Aber dann sah ich auch wieder, wie er auf deinen Armen kniete, deinen Hals umklammerte. Und ich hörte dein Stöhnen. Und dann hab ich …« Sie begann wieder zu weinen. Er stand auf, ging um den Tisch, trat an ihren Sessel, beugte sich zu ihr hinab und küßte sie. Ihre Tränen mischten sich in den Kuß.
»Es ist alles wieder gut!« Er strich ihr übers Haar. Sie drängte ihren Kopf gegen seinen Leib, umschlang ihn, und eine Weile verharrten sie so. Dann sagte er: »Ich habe Victor gesehen.«
Sie hob ihren Blick, lächelte unter Tränen. Und dann erzählte er.
Eine halbe Stunde später nahm das Gespräch eine Wende, die deutlich machte, daß beide die Grenze der psychischen Belastbarkeit erreicht hatten. Christiane hatte Kaffee gekocht. Es war wieder einmal vier Uhr morgens, und wenn sie nicht seit ihrer Ankunft auf der Insel dann und wann unter Tag ein paar Stunden geschlafen hätten, wären sie längst auch physisch am Ende gewesen.
Klaus nahm eine dritte Tasse aus dem Schrank, goß Kaffee ein, legte einen Bizcocho, ein Stück Hefegebäck, auf die Untertasse und sagte:
»Das kriegt er jetzt. Aber nicht seinet-, sondern meinetwegen. Ich halte das nicht länger durch. Und ich muß ihm auch Medizin geben. Alles wegen der Menschenwürde. Er hat übrigens sein Bett naß gemacht.«
»Kein Wunder. Er ist jetzt vierundzwanzig Stunden bei uns.«
»Gestern hab’ ich ihn einmal ins Bad gebracht, aber einmal täglich ist natürlich nicht genug. Und nun die Verletzung dazu. Bei solchen Schmerzen pinkelt man schon mal drauflos. Hast du irgendwelche Tabletten?«
»Ich habe Tropfen. VALORON. Das ist zwar ein ziemlich starkes Schmerzmittel, aber bei einer solchen Verletzung wohl doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.« Sie holte das Fläschchen aus dem Schlafzimmer, reichte es ihm.
»Dreißig Tropfen würde ich ihm geben.«
Klaus ging zu dem Gefangenen, der einen erbärmlichen Anblick bot. Er atmete schwer, hatte die Augen geschlossen, und auf seinem Gesicht stand Schweiß. Wahrscheinlich hatte er Fieber.
»Hier ist ein bißchen Proviant«, sagte Hemmerich, »aber vorher nimmst du diese Medizin.« Er gab dreißig Tropfen auf einen Teelöffel, flößte sie Herles, der sich nicht wehrte, ein, und dann fütterte er ihn und ließ ihn zwischendurch vom Kaffee trinken. Danach ging er ohne ein weiteres Wort hinaus.
Wieder im Wohnzimmer, sagte er zu Christiane: »Ich habe eine Aktion vor, die mir schon
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