1980 Die Ibiza-Spur (SM)
des Fahrzeugs zu erkennen. Es war eine IMPERATOR-Yacht mit Flybridge, wie sie häufig von deutschen Behörden als Dienstboot eingesetzt wird, ein leistungsstarkes Schiff. Der Rumpf dieses Typs, das wußte er, wurde von der GERMANIA LLOYD gebaut und glich dem der Marine-Schnellboote.
Aber noch etwas entdeckte er, und es bewog ihn, in dieser Nacht kein Piratenstück zu wagen und etwa hinüberzuschwimmen, um heimlich an Bord zu gehen. Auf dem Deck stand, gegen das Brückenhaus gelehnt, ein Mann. Er war sicher, daß es sich um einen bewaffneten Posten handelte.
Er verließ die Felsmulde und machte sich auf den Weg zu seinem Auto.
XXIX.
Auf der Rückfahrt – er nahm wieder die Route entlang der Sierra San Vicente – arbeitete er gleichermaßen enttäuscht wie verbissen an einem neuen Plan. Die so drastisch veränderte Lage zwang ihn dazu. Victor auf direktem Wege zu befreien, indem er sich einfach dorthin begab, wo man ihn verwahrte, schien nun unmöglich. Das Verlies im Stollen wäre ein Ort gewesen, bis zu dem er mit etwas Geschicklichkeit hätte vordringen können. Die Yacht, zumal sie nicht am Ufer lag, schied aus, und es war nicht damit zu rechnen, daß ihm Victors nächster Aufenthaltsort an Land bekannt werden würde. Er mußte jetzt davon ausgehen, daß alle lokale Kenntnis ihm nichts mehr nützte und daß selbst von dem gefangenen Herles keine brauchbare Information mehr zu bekommen war.
Er rauchte, seit er von dem Vorplatz der Bäuerin abgefahren war, schon die dritte Zigarette, war mit nichts anderem befaßt gewesen als mit seinem Plan und hatte immer noch keine brauchbare Idee. Ja, er hatte sogar zwischendurch ein weiteres Mal erwogen, die Polizei einzuschalten, war aber dann in seinen Überlegungen doch nur auf eine andere Version der Katastrophe gekommen, bei der die Mannschaft das Schiff nicht etwa aufgab und in die Luft sprengte, sondern damit zu fliehen versuchte. Die Polizei würde nach einigen Warnschüssen eine gezielte Salve auf die AURORA abfeuern, und dann käme es ebenfalls zur Explosion.
Erst auf den letzten Kilometern verfiel er auf eine Möglichkeit, die er zwar Herles gegenüber schon einmal genannt, aber nie wirklich ernsthaft erwogen hatte, nämlich auf den Versuch, sich Javier Hentschels zu bemächtigen, dann den Kontakt zu Hentschel aufzunehmen und ihm den Sohn im Austausch gegen Victor anzubieten. Er war zornig, daß ihn die veränderte Lage zu solchen Überlegungen zwang, fand aber keine andere Lösung. Okay, dachte er, dann muß ich mich eben auf dieses scheußliche Spiel einlassen, muß einen Menschen einfangen wie ein Tier, muß ihn einsperren, verstecken und dann feilbieten auf dem widerlichsten Markt, den diese Welt kennt. Biete Sohn gegen Bruder. Er umkrampfte das Lenkrad, als er sich vergegenwärtigte, daß er diesen Sohn noch nicht einmal hatte und daß es sehr schwer werden würde, ihn in seine Gewalt zu bekommen. Er wußte, Kidnapper beobachten ihre Opfer wochen-, manchmal monatelang, kundschaften ihre Gewohnheiten aus und gehen dann nach einer minutiös ausgearbeiteten Strategie vor. Diese Wochen oder Monate hatte er nicht. Er hatte nicht mal Tage. So würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als Vabanque zu spielen. Die Zeitnot, sagte er sich, wird die Gefahr vervielfachen, aber hab’ ich denn überhaupt noch eine Wahl?
Er bog ein in den Weg, an dessen Ende das Ferienhaus stand. Er hoffte, daß die vergangenen Stunden für Christiane halbwegs erträglich gewesen waren. Als er noch etwa fünfzig Meter entfernt war, wußte er. Zumindest die letzten Augenblicke dieser Stunden mußten alles andere als erträglich gewesen sein. Im Licht seiner Scheinwerfer sah er sie aus dem Haus stürzen. Sah ihr angstverzerrtes Gesicht, ihr fliegendes Haar. Und er sah Herles, der ihr im Abstand von nur wenigen Metern nachlief.
Der Peugeot machte noch einen Satz nach vorn, stoppte. Hemmerich sprang aus dem Wagen, vergaß sogar, den Motor auszuschalten. »Hierher!« rief er Christiane zu. Doch sie hielt es wohl nicht für möglich, daß er ausgerechnet in diesem Moment zurückkäme, sah vielleicht sogar einen Zusammenhang zwischen dem plötzlich aufgetauchten Fahrzeug und Rüdiger Herles. Sie rannte weiter, und so lief Klaus Hemmerich auf den Mann zu, der – das ging ihm blitzartig auf – als Faustpfand zwar nicht viel taugte, dessen Verbleib in der Gefangenschaft aber für Christiane und ihn von größter Bedeutung war, oder anders herum. Seine Befreiung würde eine kaum noch zu
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