1980 Die Ibiza-Spur (SM)
jetzt, beim bloßen Gedanken daran, ganz schön an die Nieren geht. Ich will mir Javier Hentschel holen, um ihn gegen Victor auszutauschen. Wie, das sage ich dir später. Jetzt möchte ich – nein, jetzt muß ich etwas anderes klären.« Er machte eine Pause, ging ein paarmal im Zimmer auf und ab, dann stellte er sich vor Christiane hin und sagte in einem Ton, der seine verzweifelte Entschlossenheit erkennen ließ. »Du mußt weg von der Insel! Sag bitte noch nichts dazu, laß es mich erst erklären. Ich kann nicht weitermachen, wenn ich ständig mit Gefahr für dich rechnen muß. Wir haben es ja gerade erlebt, und es war meine Schuld. Eindeutig. Ich bin sicher, er hätte dich erledigt. Wenn alles nur ein paar Minuten früher passiert wäre, dann hätte er dich eingeholt, und wenn er dann deinen Stein gehabt hätte, wärest du bestimmt nicht mit einem gebrochenen Schulterblatt davongekommen. Du konntest ihm nicht den Schädel zertrümmern; er hätte es bei dir gekonnt. Ich habe also jetzt einen Plan, aber ich kann ihn nur ausführen, wenn ich weiß, daß du in Sicherheit bist. Glaub mir, Christiane, ich kann sonst nicht weitermachen! Victors Freiheit ist mir nahezu alles wert, und ich bin auch bereit, für sie meine eigene aufs Spiel zu setzen, mein Leben sogar, aber alle Bemühungen werden zweifelhaft, sobald durch sie dein Leben in Gefahr gerät. Dann geht die Rechnung nicht mehr auf. Ich weiß, es klingt nicht gut, jetzt von einer Rechnung zu sprechen, aber im Grunde ist es eine, und wenn Victor und ich im Jet-Sessel nach Hause fliegen, du dagegen in einem Sarg, dann ist sie nicht aufgegangen. Also: Ich bitte dich, flieg zurück nach Hamburg!«
Wieder war er vor ihr stehengeblieben, wieder beugte er sich zu ihr hinab. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, und dann scheute er nicht einmal das Mittel der Erpressung:
»Wenn du nicht nach Hause fliegst, gebe ich auf.« Er ließ sie wieder los, setzte aber das nervöse Auf- und Abgehen nicht fort, sondern stellte sich an den Tisch, stützte die Arme auf die Platte, und so, in der Pose eines Schulmeisters, der es mit einem verstockten Kind zu tun hat, wartete er auf ihre Antwort. Es dauerte lange, bis sie kam.
»Gut«, sagte sie endlich. »Aber ich stelle eine Bedingung. Mir ist längst klargeworden, daß wir es falsch angepackt haben. Ziehen da los, zwei biedere Hamburger, die von Abenteuern dieser Art höchstens mal in Filmen oder Büchern erfahren haben, und wollen es aufnehmen gegen eine mächtige, bis an die Zähne bewaffnete und mit allen Wassern gewaschene Organisation. Und nun willst du dir Javier Hentschel holen, willst ihn überwältigen, verstecken, bewachen, dann mit seinem Vater verhandeln und in einem bestimmt sehr komplizierten Austausch deinen Bruder zurückgewinnen. Klaus, so schaffst du es nicht! Natürlich auch nicht, wenn ich bleibe, denn ich bin für diese Leute noch viel weniger ein Gegner als du, und …«
Er unterbrach sie: »Wir haben es gerade erlebt, was für ein Gegner du bist. Ohne deine Hilfe wäre ich jetzt erledigt.«
»Gut, sehen wir es ruhig mal so. Und nun schickst du mich also weg. Dann bist du ganz allein. Wie willst du den Austausch bewerkstelligen? Javier an die Hand nehmen, ihn bei seinem Vater abliefern und dann – bitteschön, Herr Hentschel, Zug um Zug – die Herausgabe deines Bruders verlangen? Das kann doch gar nicht gutgehen! Plötzlich bist du von fünf, sechs Männern umstellt, und was mag es dir dann wohl nützen, den lieben kleinen Javier an der Hand zu haben, ihn aber erst loslassen zu wollen, sobald man Victor abgeliefert hat.«
»Christiane, ich hab’ dich noch nie zynisch erlebt, und …«
»Ich mich auch nicht, aber um dir die Gefahr vor Augen zu halten, in die du hineinrennen willst, ist mir jedes Mittel recht. Also, meine Bedingung. Du telefonierst mit Bert Naumann. Er soll dir die beiden besten Männer schicken, die er hat, keine Schreibtischhelden, sondern Reporter, die auch schon mal was anderes in der Hand gehabt haben als nur ihren Kugelschreiber. Wenn du ihn um acht anrufst, können sie heute nachmittag auf der Insel sein.« Und dann war sie es, die erpresserisch vorging. »Wenn du nicht anrufst, bleibe ich hier!«
Klaus schwieg lange, und als er endlich antwortete, mußte er alles gründlich durchdacht haben, denn er sagte: »Einverstanden.«
XXX.
Wieder waren es zwiespältige Empfindungen, die Klaus Hemmerich beim Anblick des kleinen, fast anheimelnd wirkenden Flughafens von Ibiza bewegten. Sein
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