1980 Die Ibiza-Spur (SM)
das andere Gespräch wichtiger, das Telefonat, das mein Compañero jetzt mit deinem Vater führt. Ich will nur hoffen, daß dein Vater dich wenigstens ein kleines bißchen liebt, sagen wir mal, so viel, daß er dich nicht über die Klinge springen läßt, nur um meinen Bruder zu behalten. Ich möchte einiges von dir wissen. Zwei Fragen vorweg: Warum habt ihr ihn gefangen, und warum habt ihr ihn noch nicht getötet, wo ihr doch sonst mit dem Töten nicht lange herumfackelt?«
Die Dämmerung ist schnell auf Ibiza, und so lag nun doch schon etwas Licht auf den Zügen Javiers. Klaus sah in die dunklen spanischen Augen, aber darin zu lesen, war noch nicht möglich. Er sah auf den schmallippigen Mund, der sich nicht öffnen wollte.
»Du möchtest nicht? Dann muß ich dich an Herles erinnern. Sicher ist es für dich ein schmerzlicher Gedanke, daß er uns geholfen hat. Aber hast du auch mal an seine Qualen gedacht? Vor allem, woher sie stammen? Wir haben eure brutalen Methoden übernommen. Das darf uns niemand verübeln. Ich habe vorgestern nacht meinen Bruder gesehen, auf der Mole bei Ca’n Jordi. Waffen, Munition und dazu das Bündel Victor Hemmerich, das vorher zwei Monate in eurem Stollen gelegen hat. Begreifst du endlich, daß ich mir das nicht gefallen lasse? Begreifst du, daß das bei mir Fähigkeiten freisetzt, die in meinem bisherigen Leben undenkbar waren? Ja, daß mir jetzt, und sei’s zum bloßen Abreagieren meiner Wut, alle Brutalität, die ich mir nur ausmalen kann, ein Bedürfnis ist? Also, wenn mein Companero zurück ist, dann ist es dir entweder wie Herles ergangen, oder du hast mit mir gesprochen. Das ist keine leere Drohung. Herles ist der Beweis, daß wir die Skrupel nicht haben, auf die du vielleicht im stillen setzt. Ich hole gleich meinen Stein. Der Schlag wird nur eine Sekunde dauern, aber was danach kommt, das sind Stunden und Tage, und was sie dir bringen, müßte dir ebenfalls an Herles’ Beispiel klarwerden, denn ganz sicher war es mehr als ein leichtes Unwohlsein, was ihn zum Verrat getrieben hat.«
Hemmerich machte eine Pause. Dann fragte er, und es klang fast wie eine Bitte: »Willst du mit mir reden?«
Javier räusperte sich. »Ich wüßte nicht, worüber wir miteinander sprechen sollten«, antwortete er.
»Das sagte ich dir schon. Warum habt ihr meinen Bruder gefangengenommen und dann die komplizierte Geschichte von seiner Wandlung erfunden?«
»Er hat sich eingemischt.«
»Ja. Das hat er wohl. Aber in was?«
»In unsere Angelegenheiten.«
»In eure? Sind es nicht auch die der anderen, die mit euch nichts im Sinn haben, aber sich zufällig dort aufhalten, wo eure Bomben explodieren? München. Paris. Köln. Der Fahrstuhl zum Beispiel. Willst du allen Ernstes behaupten, diese achtzehn Toten seien allein eure Angelegenheit und gingen niemanden sonst etwas an?«
»Wir haben unsere Ziele. Um sie erreichen zu können, brauchen wir eine gewisse Unerschrockenheit.«
Hemmerich konnte ein kurzes zynisches Auflachen nicht unterdrücken. »Unerschrockenheit! Was für eine elegante Vokabel für das Infame! Aber sag mir jetzt endlich. Wieso ist mein Bruder noch am Leben?«
»Mein Vater wollte ihn in seinen Dienst nehmen.«
»Wie denn das?«
»Er sollte einen großen Artikel über uns schreiben. Titel: ›Rechtfertigung von rechts!‹ Darin sollte alles aufgezählt werden, was heute faul ist in Deutschland, und das ist eine ganze Menge. Ganz obenan steht die totale Orientierungslosigkeit des Volkes, vor allem der Jugend. Die Alten haben resigniert und sich für den Rest ihres Lebens in sich selbst verkrochen. Aber die jungen Deutschen! Noch nie hat eine Nation ihre Jugend in so tiefe und anhaltende Depressionen gestürzt, wie es Deutschland seit vielen Jahren tut. Ich spreche jetzt nur von der Bundesrepublik. Ein paar Stichworte: Arbeitslosigkeit. Numerus clausus. Wohnungsnot. Und das in einem Land, das sich stolz zu den wichtigsten Industrienationen der Erde zählt. Die Folgen? Wieder nur ein paar Stichworte: Alkoholismus. Drogenabhängigkeit. Kriminalität. Man kann doch nicht die Jugend in ein solches Dilemma stürzen und ihr dann sagen: ›Sucht euch selbst einen Ausweg!‹ Das ist so, als wenn eine Mutter zu ihrem Säugling sagt: ›So, nun ernähre dich mal schön!‹ und dann nach Australien abhaut. Die westdeutsche Demokratie ist, was die Jugend betrifft, die unbarmherzigste Einrichtung, die es gibt. Du weißt, es gab andere, bessere Zeiten. Es hat an der Spitze Deutschlands mal einen Mann
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