1980 Die Ibiza-Spur (SM)
gegeben, dem nichts so sehr am Herzen lag wie die Jugend seines Volkes. Das Resultat, die aufgeschlossenste, einsatzfreudigste, fröhlichste Jugend, die Deutschland je hatte. Weil sie nun mal dem Mann, der Deutschland führte, am Herzen lag. Und wie sieht es heute damit aus? Es gibt zwar keinen namhaften Politiker, der nicht von Zeit zu Zeit die Jugend in sein lahmes Gebet einschließt, aber damit hat es sich dann auch. Hohle Worte. Getan wird nichts. Hemmerich sollte über das alles einen Bericht schreiben, über die Misere, die kein Deutscher, der bei Verstand ist, leugnen kann. Und über unsere Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Existenzbedingungen zu schaffen, wie sie von der Jugend akzeptiert werden können.«
»Und ihr meint«, unterbrach Hemmerich die leidenschaftliche Anklage, »mit Mord ist so was zu machen?«
Nun war es Javier, der zynisch auflachte. »Mord? Die Toten sind bei uns nicht Programm, sondern bedauerliche Begleiterscheinung der Strategie, die uns als einzige bleibt. Aber was ihr macht, das ist Mord! Ist grausamer, heimtückischer Mord! Oder wie willst du es nennen, wenn Tausende junger Menschen sich aus Verzweiflung mit Drogen zugrunde richten?«
»Bist ja ganz schön flott mit deinen Argumenten«, antwortete Hemmerich, »meinst also, wenn ihr kommt, fressen euch die jungen Leute aus der Hand. Die werden euch zum Teufel jagen, wenn ihr ihnen euren Drill anbietet und von ihnen Kadavergehorsam verlangt. Das Problem liegt viel tiefer, und ihr werdet es nicht lösen.«
»So? Wo liegt es denn?«
»Okay, auf ein Schlagwort mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht an. In der Überflußgesellschaft. Und die schafft ihr nicht ab. Dann müßtet ihr die halbe Welt überzeugen, daß es sich mit weniger Wohlstand besser lebt.«
Darauf erwiderte Javier: »Das wollen wir ja auch!«
»So, und mein Bruder soll euch eine Art Legitimation schreiben?«
»Er soll schreiben, was wir denken, was wir fühlen, was wir anstreben.«
»Da habt ihr euch den falschen Mann geholt.«
»Stopp! So war es ja nun nicht! Wir haben ihn weder geholt noch gerufen. Er kam von selbst, schnüffelte bei uns herum. Wir erwischten ihn in unserem Revier, gaben ihm dann aber eine Chance.«
»Das ist keine Chance, denn selbst wenn er einen noch so brillanten Artikel für euch geschrieben hätte. Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß auch nur eine einzige westdeutsche Zeitung bereit gewesen wäre, ihn zu drucken!«
»Doch, das glauben wir.«
»Aber keine Zeitung mit Niveau.«
»Doch. Dafür sollte Hemmerich dann ja freigelassen werden.«
»Ach so.«
Also wieder einmal die Frage, was einer einem anderen wert ist, dachte Klaus, und ihn schauderte vor diesem perfiden Spiel, dessen Regeln er mittlerweile übernommen hatte, und zwar, wie es schien, durchaus erfolgreich. Mit Herles war ihm eine nur schwache Karte zugefallen. Durch Bluff hatte er sich dann einen Trumpf dazugeholt, und nun mußte es sich zeigen, ob damit das Spiel zu gewinnen war.
»Glaubst du«, fragte er Javier, »daß dein Vater zu einem Austausch bereit ist? Bruder gegen Sohn?«
»Er ist Soldat, hat seine Ehre und kennt seine Pflicht.«
»Ich denke, er ist Hotelier?«
»Viele betreiben neben ihrer eigentlichen Berufung noch etwas anderes, sind Gartenliebhaber, Angler, Schachspieler. Mein Vater hat eben dieses Hotel, aber er ist seit vierzig Jahren Offizier, und in dieser ganzen Zeit hat es nicht einen einzigen Tag gegeben, an dem er es nicht war. Ich wünsche ihm jetzt die Kraft, die er braucht, um alles Persönliche beiseite schieben zu können.«
»Also wünschst du, daß er dich opfert?«
»Ich wünsche, daß er stark bleibt und nicht sich selbst und seiner Sache in den Rücken fällt.«
»Junge, was du da von dir gibst, ist doch der reinste Schwachsinn! Mein Bruder wird nie den Artikel schreiben! Ihr werdet mit euren nebulosen Ideen nie zum Zuge kommen, werdet weder Deutschland noch Spanien, geschweige denn die ganze westliche Welt verändern, aber ihr könntet jetzt einem Bruder und einem Sohn das Leben erhalten. Wär’ das nicht endlich mal was?«
Hemmerich stand auf, zündete sich eine neue Zigarette an, ging, an der Pritsche seines Gefangenen entlang, auf und ab.
»Im Gegensatz zu dir«, fuhr er fort, »wünsche ich deinem Vater für morgen früh, wenn’s ans Verhandeln geht, etwas weniger soldatische Tugend, dafür aber ein Quentchen Humanität oder auch nur väterliche Fürsorge.« Er schwieg, und dann, nach einer ganzen Weile, fragte er: »Wer ist
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