1980 Die Ibiza-Spur (SM)
würde mit dem Unbehagen, das dieser Inselaufenthalt verhieß, besser zurechtkommen, wenn er allein wäre. Aber sogleich entsann er sich der vielen Vorteile, die Christiane ihm aufgezählt hatte, und so fuhr er fort: »Aber Erbauung suchen wir ja auch nicht.«
»Nein«, erwiderte sie, »wir suchen deinen Bruder.«
Sie trennten sich, packten die Koffer aus, duschten und zogen sich um. Unterdessen war es Abend geworden. Kurz nach sieben Uhr klopfte Klaus an die Verbindungstür, und eine Weile später saßen sie im Restaurant, hatten einen Tisch am Fenster. Ihre Blicke gingen hinunter auf die lichterfunkelnde Stadt und den Hafen, und sie genossen nun doch die Schönheit der nächtlichen Bucht.
Zunächst, als Hors-d’œuvre, brachte der noch sehr junge spanische Kellner ihnen Tapas, Tonschalen mit kleinen Häppchen, so als sei’s noch gar nicht die Mahlzeit, sondern ein Probieren vorweg. Artischockenherzen, Tintenfisch, Geflügel, Sardinen, Oliven und dünne Scheiben des über Spaniens Grenzen hinaus brühmten Jamón Serrano.
»Diesen Schinken«, erzählte Klaus, »habe ich oft in Malaga gegessen, auch in Barcelona und Vigo. Der strenge Geschmack erinnert mich ein bißchen an unseren norddeutschen Schafsschinken.«
Als Hauptgericht ließen sie sich Hummer servieren, und dazu kam Alioli, eine Mayonnaise mit viel Knoblauch, auf den Tisch. Christiane, die in ihrem ganzen Leben Knoblauch nur einmal probiert hatte, schob das Gefäß mit der sehr gelben, cremigen Mayonnaise beiseite, aber Klaus bat sie, doch wenigstens zu kosten. Sie tat es. Und dann beobachtete er mit Vergnügen, wie seine schöne Reisegefährtin sich im Verlauf des Essens immer noch einmal eine vorsichtig dosierte Portion aufs Hummerfleisch strich und ein Stück von dem frischen Landbrot in das Schälchen tunkte.
»Siehst du?« sagte er. »Man kann Alioli mögen, selbst wenn man Knoblauch nicht mag. Aber es läßt sich auch weniger widerspruchsvoll sagen. Man mag Knoblauch, hat das bloß vorher nicht gewußt. Übrigens, ein berühmter französischer Koch soll mal erklärt haben, das Glück beginne dort, wo man mit Knoblauch kocht. Täusche ich mich sehr in der Annahme, daß ich, wenn ich lebend von hier wegkomme, in Zukunft an deinem Hamburger Tisch Alioli vorgesetzt bekomme?«
Christiane wiegte den Kopf. »Das ist nicht ausgeschlossen«, erwiderte sie, »obwohl … , obwohl …«, sie faßte sich an die Hüften, »diese Köstlichkeit auch noch aus anderen Zusätzen besteht.«
»Du kannst sie mir trotzdem vorsetzen, dann lasse ich eben am nächsten Tag eine Mahlzeit aus.«
»Du hast mich absichtlich falsch verstanden. Ich meine nicht dich, sondern mich.«
»Aber Christiane! Du hast in all den Jahren, die wir uns kennen, dein Gewicht um keine drei Gramm verändert.«
»Was nichts besagt.«
»O doch! Denn als Victor mich dir vorstellte, dachte ich so bei mir. Donnerwetter! Ja, das dachte ich so bei mir.«
»Was immer noch nichts besagt.«
»Und ich dachte weiter. Endlich mal das absolute Ebenmaß, die totale Harmonie. Wenn ich doch Maler wäre …! Also, jedem anderen würde ich sie wegzunehmen versuchen. – Mein Gott, wir plauschen hier so locker, und da hinten, glaube ich, steht der Kerl, der Victor ans Telefon holen wollte. Dieser Javier! Eben jedenfalls wurde er so gerufen. Dreh dich nicht um.«
»Das macht es so unheimlich«, sagte Christiane, »daß man hier Gast ist und speist und höflich behandelt und bedient wird und genau weiß, im verborgenen machen sie etwas ganz anderes! Sie basteln Bomben, bilden Stadtguerilleros aus und lassen Leute verschwinden.«
Christiane hatte, da niemand in der Nähe war, ihre Stimme nicht gesenkt. Klaus, in dem Gefühl, selbst die Wände hätten Ohren, griff schnell über den Tisch hinweg nach ihrer Hand, sagte: »Vorsicht!«
Sehr lange hielt er ihre blasse Rechte umschlossen, und beide empfanden sie das Zwiespältige dieser Geste. Zwar waren sie sich ihrer Absicht bewußt, die anderen zu täuschen und ihnen möglichst überzeugend das Ferienglück von Verliebten vorzugaukeln, aber von einem Augenblick zum anderen war ein Hauch jener intimen Zärtlichkeit, die sie zur Schau stellen wollten, auch in Wirklichkeit vorhanden. Denn plötzlich lagen ihre Hände nicht mehr nur lose ineinander, was für den bloßen Anschein genügt hatte, nein, auch das Pulsieren war da, das sanfte, von außen gar nicht zu sehende Zueinanderfinden. Klaus erschrak, als er das spürte. Er zog seine Hand zurück. Aber er wußte, damit war es
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