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1980 Die Ibiza-Spur (SM)

1980 Die Ibiza-Spur (SM)

Titel: 1980 Die Ibiza-Spur (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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das fiel ihnen auf, waren die Banken.
    Auch was die Passanten betraf, bestätigte sich Victors Eindruck. Das kosmopolitische Flair der kleinen Stadt war nicht zu übersehen. Die Vielfalt war eine der Geographie und zugleich eine der Mode, denn nicht nur sahen sie Menschen aus aller Herren Länder, Europäer, Asiaten, Afrikaner – auch, was diese Menschen am Leibe trugen, weckte ihr Interesse, es war so verschiedenartig, daß sie zeitweilig den Eindruck hatten, sie seien in einen Fastnachtsumzug hineingeraten.
    Da gab es Frauen mit viel Eleganz und neben ihnen ibizenkische Bäuerinnen mit langen, schwarzen Röcken. Es gab Mädchen in Bikinis, andere in türkischen Pluderhosen und weitgeschnittenen Blusen, Männer in griechischen Chitons und dazwischen die neben so viel exotischer oder exzentrischer Mode langweilig und fast ein wenig philiströs wirkenden Straßenanzüge.
    Auf einer steilen, engen und kurvenreichen Straße ging es hinauf in den Bezirk der alten Festungsanlage, an deren Bau und Instandhaltung Phönizier, Griechen, Römer und Araber beteiligt gewesen waren. Die ganz oben gelegenen Häuser konnte man nur zu Fuß erreichen, auch das Hotel EL CASTILLO. So parkten sie ihr Auto in einer Nische der tausendjährigen Wehrmauer, schleppten das Gepäck die steilen Treppen hinauf, traten ein in das rustikale, von meterdicken Mauern kühlgehaltene Foyer.
    Während Klaus das Anmeldeformular ausfüllte, sah Christiane sich um. Ein Gefühl von Angst und Beklommenheit beschlich sie trotz der so harmlos wirkenden touristischen Betriebsamkeit in Hotel und Restaurant. Aber sie wußte, auch dieser Moment und gerade dieser vielleicht noch mehr als andere, die folgen würden, erforderte zur Schau getragene Unbefangenheit. Unbefangenheit bei jedem Schritt und jedem Blick, bei jedem Wort und jeder Geste. So beherrschte sie sich, versuchte, die beklemmende Vorstellung, daß Victors von düsteren Erwartungen diktierter Brief in diesem Haus geschrieben worden war, beiseite zu schieben, betrachtete die Bilder, die an den Wänden hingen und vorwiegend neutestamentarische Szenen zum Thema hatten, befühlte – ganz in der Art neugieriger Touristen – die kompakten weißen Wände und lächelte, als sie an den Papageienkäfig trat und von den beiden grüngefiederten Vögeln krächzend begrüßt wurde.
    Ein Page in Uniform brachte das Gepäck nach oben. Sie bekamen, wie Klaus es bestellt hatte, zwei nebeneinanderliegende Zimmer, die durch eine Tür verbunden waren. Als der Boy wieder gegangen war und sie am Fenster standen und auf die Stadt und den Hafen hinuntersahen, erging es ihnen ähnlich wie erst vor wenigen Tagen in der Hamburger Deichstraße. Sie sahen zwar hinaus, hatten aber keinen Blick für die Attraktionen jenseits des Fensters, ja, mehr noch als das Gespräch in dem alten Lokal am Nikolaifleet versetzte sie dieses hochgelegene ibizenkische Zimmer in gedrückte Stimmung.
    »Vielleicht«, sagte Klaus, »war es sogar dieser Raum. Oder der nebenan; deiner. Jedenfalls war es dieses Haus.«
Er beugte sich über die Fensterbank, lehnte sich ein Stück hinaus. »Und es war diese steile, acht Meter hohe Wand, an der er sich herunterhangeln wollte. Und es waren die Kopfsteine da unten, auf die er sich zu retten hoffte, die ihm dann aber wohl zum Verhängnis wurden.«
Er trat vom Fenster, klopfte mit der Hand auf den Tisch, der im Raum stand, und sagte: »Und vielleicht hat er hier, an diesem Platz, seinen letzten Brief geschrieben.«
Christiane setzte sich auf den lederbezogenen Stuhl, der vor dem Tisch stand, stützte die Ellenbogen auf die Platte und legte ihr Gesicht in die Hände. So saß sie lange. Klaus ging im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er stehen, ließ seinen Blick durch den Raum gleiten, über die Wände, die Decke, den Fußboden, und dann flüsterte er:
»Ob sie vielleicht sogar ein Mikrophon installiert haben? Ich rede einfach drauflos, und vielleicht hören sie längst mit.«
Christiane stand auf, und dann suchten sie erst mal beide Zimmer ab, besahen sich jedes Möbel, guckten in jede Blumenvase, nahmen Bilder von den Wänden und schraubten Lampen auseinander, inspizierten dann auch noch die beiden Bäder, suchten im ganzen eine halbe Stunde lang, fanden nichts.
»Du siehst«, sagte Klaus, »es wird kein erbaulicher Aufenthalt; immer wieder werden uns solche Ängste überfallen.« Er sagte es fast so, als bedaure er nun doch, sie mitgenommen zu haben. Und in der Tat hatte er für eine Weile das Gefühl, er

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