1980 Die Ibiza-Spur (SM)
dahin?«
»Einen halben Kilometer von hier …«, sie zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren, »gibt es einen Feldweg. Er führt zur Ruine, aber die Mühe lohnt nicht. Man kann nicht mehr sehen, als man von der Straße aus erkennt. Sie können übrigens viele Insulaner nach dieser Mine fragen, und Sie werden feststellen, daß kaum noch einer von ihr weiß.«
Klaus hielt es für angebracht, der Unterhaltung eine Wende zu geben, damit sich das Thema »Bleimine« nicht gar so dominant in der Erinnerung der alten Frau festsetzte. Wer weiß, vielleicht fragt einer von Hentschels Leuten die Bäuerin eines Tages aus, dachte er.
Sie hatte sich nicht mit an den Tisch gesetzt, sondern war hinter ihrer Theke stehengeblieben. Christiane und er waren die einzigen Gäste in der kleinen Schenke, die nicht mehr als vier Tische hatte. Im Hintergrund gab es noch einen zweiten Tresen. Darauf und davor lagen Waren ausgebreitet. Kartoffeln, Früchte, Gemüse, Konservendosen und Waschmittel. Unter einer gläsernen Glocke lag ein angeschnittener Schinken. Eine Art Drugstore also, dachte Klaus. Er schenkte noch einmal ein, stellte die Flasche wieder auf den Tisch. Im Sonnenlicht, das durch das geöffnete Fenster in den Raum fiel, sah das Kräuterbüschel in dem sirupfarbenen Likör aus wie Algengerank in trübem Wasser.
» Salud! « Er nickte erst Christiane und dann der Bäuerin zu, trank, stellte sein Glas wieder ab, und dann sagte er: »Ich muß sagen, Señora, Sie leben hier auf einer paradiesischen Insel!«
Aber das mochte die Alte so pauschal nicht akzeptieren, und es geriet ihr sogar ein etwas zorniger Tonfall in die Entgegnung: »Paradies, sagen Sie! Das mögen die Fremden so empfinden, und sie leben hier auch so, als wäre es wirklich das Paradies. Aber für unsere eigenen jungen Leute ist ihr Beispiel eine große Gefahr. Sie glauben dann nämlich, daß auch sie im Paradies leben, und solche Gedanken sind Gift für ihre Köpfe. Sie werden faul, wollen nicht mehr arbeiten, wie wir es mußten, und möchten am liebsten, genau wie die Fremden, den ganzen lieben langen Tag in der Sonne liegen oder durch die Stadt spazieren.«
Und dann folgte von der Theke her ein geharnischter Sermon über den Verfall der Sitten, der bei den Insulanern damit begonnen habe, daß ihre Äcker plötzlich als Bauland begehrt waren. Klaus sah, daß die Bäuerin sich, während sie sprach, einen Carlos Quinto einschenkte. Sie nahm einen kleinen Schluck, und dann beendete sie ihre leidenschaftliche Rede mit den Worten: »Ja, die Sache mit dem Bauland war das Signal. Ein böses. Und heute trachtet jeder nur nach einer Gelegenheit, mit möglichst wenig Arbeit möglichst viel Geld zu verdienen.« Aber dieses Dilemma legte die Alte ihren beiden Gästen nicht persönlich zur Last. Beim Abschied bat sie sogar darum, daß sie wiederkämen, und winkte ihnen von der Tür aus nach, als sie in Richtung San Carlos davonfuhren.
Auf dem Weg erzählte Klaus Christiane, was er von der Bäuerin erfahren hatte. Als sie die Stelle erreichten, an der der Feldweg abzweigte, hielten sie an, blickten den holperigen Pfad entlang, dann auf die Ruine, und Klaus sagte: »Wir werden heute nacht den Wagen mindestens einen Kilometer vor dieser Abzweigung im Wald verstecken und uns von dort aus zu Fuß auf den Weg machen. Wir werden uns feste Schuhe und dunkle Kleidung anziehen und eine Taschenlampe mitnehmen.«
»Was ist mit dem Lageplan?« fragte Christiane. »Und mit Victors Brief? Liegen die etwa im Hotelzimmer?«
»Ja, aber gut verwahrt. Nach bewährtem Muster. Wie im ›Malte‹. Diesmal in meinem Reiseführer versteckt. Und ich hole ihn da auch nicht heraus. Die Skizze habe ich im Kopf, und zwar mit allen Winkelgrößen und Entfernungen. So, und jetzt fahren wir zum Essen.«
Er startete.
»Und wann geht es los zur Mine?« fragte sie.
»Nicht vor eins heute nacht.«
»Und wie verbringen wir den Nachmittag?«
»Was meinst du, sollten wir nicht für ein paar Stunden an den Strand fahren?«
»Ich glaube, Victor hätte nichts dagegen.«
»Bestimmt nicht«, sagte Klaus. »Ich habe gelesen, der beste Strand ist südlich von Ibiza-Stadt in der Nähe der Salinen. Wir holen also nach dem Essen unser Badezeug aus dem Hotel, dann fahren wir an den Strand, und ich halte dich stundenlang in die Mittelmeersonne, aber vorher öle ich dich ein!«
XII.
Sie hatten sich in der Nähe von San Jörge inmitten des weitläufigen Dünengeländes einen Platz gesucht. Keine Mulde, sondern einen
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