1980 Die Ibiza-Spur (SM)
stellte. Endlich, es mochten seit dem Einstieg fünfzehn Minuten vergangen sein, erreichte er die Wasseroberfläche. Er leuchtete sie ab, dippte den Fuß hinein. Es hätte ihn kaum überrascht, wenn das Wasser sich nur träge, etwa wie Schlick oder Öl, bewegt hätte, aber so war es nicht. Es gab Spritzer, und wo er den Fuß eingetaucht hatte, waren kleine Wellen entstanden.
Er hängte die Lampe, die seit Beginn des Abstiegs ständig eingeschaltet war, an die über seinem Kopf befindliche Sprosse, so daß das Licht auf ihn herabfiel. Die Leine befestigte er an derselben Sprosse. Als er den Knoten gemacht hatte, kam ihm eine Idee. Wenn er jetzt einen Stein hätte, könnte er mit Hilfe der Leine die Wassertiefe ausloten, bevor er sich selbst hinunterließ. Er tastete ein Stück der Schachtwand ab, prüfte, ob nicht irgendwo im Laufe der Jahrzehnte der Mörtel brüchig geworden wäre und ein Stein sich lösen ließe oder auch nur ein halber, aber aus dem festen Gefüge war nicht das kleinste Bröckchen herauszuklauben, jedenfalls nicht mit bloßen Händen, und ein Werkzeug hatte er nicht. Sein Blick fiel auf die Lampe. Warum nicht sie? fragte er sich, sie könnte nicht nur loten, sondern auch leuchten. Er machte sie wieder los und verband Seil und Lederschlaufe miteinander. Er hängte, um beide Hände frei zu haben, sein rechtes Bein über eine der Sprossen. Mit dem linken hatte er weiter unten festen Stand. Dann ließ er die eingeschaltete Stableuchte langsam hinabgleiten. Schon nach wenigen Metern war es vorbei mit der gleißenden Helligkeit, gab es kaum noch Konturen, da war nur ein diffuser Lichtball, der in die Tiefe ging und schwächer wurde.
Es war ein kritischer, ja sorgenvoller Blick, mit dem Klaus Hemmerich das verebbende Licht beobachtete, und was seine Hände machten, geschah nur halbherzig, sozusagen gegen den Strich, denn wiewohl die Methode, die er sich ausgedacht hatte, zufriedenstellend funktionierte, bereitete ihm doch jeder Meter, den er abwickelte, Unbehagen, die Lampe war ja seine Vorhut; ihr Weg in die Tiefe war auch sein Weg. So wartete er voller Ungeduld darauf, daß die Zugkraft nachließe und das Tau in seiner Hand locker würde. Nach etwa sieben, acht Metern, er konnte das nur grob schätzen, schien es so weit zu sein. Jedenfalls war die Leine plötzlich nicht mehr straff. Da er nun im Dunkeln arbeitete, konnte er sich, um die Bodenverhältnisse zu prüfen, einzig auf seine Hände verlassen. Er zog wieder straff, schlang sich die Leine ums Handgelenk, um einen Fixpunkt zu haben, schwenkte den Arm so weit herum, daß sich die Hand mit der Schnur um gut einen Meter versetzte. Es war nicht zu erwarten, daß die Lampe da unten diesen ganzen Meter sofort mitgehen würde. Darum wartete er einen Moment, dippte dann noch ein paarmal, bis er damit rechnen konnte, daß sein Lot sich ein kleines Stück, vielleicht eine oder zwei Handbreiten, verschoben hatte. Er gab wieder Leine, und tatsächlich, diesmal ging es ein Stück tiefer hinab, einen halben Meter etwa. Also war der Grund uneben, oder aber dort lag etwas, das die Lampe beim erstenmal getroffen, beim zweiten Mal verfehlt hatte.
Inzwischen hatte sich das Licht in der Tiefe so weit verloren, daß nur noch ein ganz schwacher Schimmer erkennbar war. Normalerweise hätte es bei einer so starken Leuchte noch gut zu sehen sein müssen, aber nun stand fest: Es war eine trübe Lake, die ihn erwartete.
Er zog, wie ein Kaminfeger seine Kugel heraufholt, die Lampe zurück an die Oberfläche, knotete sie los, tastete sie ab, fand aber nichts, was ihm etwas über die Beschaffenheit des Grundes hatte verraten können, da hatte sich nichts festgesetzt, oder wenn doch, so war es auf dem langen Weg nach oben wieder verlorengegangen.
Nun konnte der zweite Teil des Abstiegs beginnen. Er schlang sich die Leine um den Leib, befestigte sie mit einem Schifferknoten, setzte die Taucherbrille auf, kontrollierte die Verschlüsse und prüfte die Luftzufuhr aus der Flasche. Das Atmen, obwohl aus der Konserve betrieben, war nun weniger lästig, weil der penetrante Geruch entfiel. Er ließ sich ins Wasser hinein.
Es war sehr kalt, aber das störte ihn zunächst nicht. Etwas anderes setzte ihm zu, die ekelerregende schmutzige Brühe auf seiner Haut.
Es half ihm, daß sich auch unter Wasser noch Stufen befanden. So konnte er, indem er sich immer wieder mit der freien Hand oder auch mit den Füßen an den eisernen Sprossen festhielt, leichter nach unten gelangen, als wenn
Weitere Kostenlose Bücher