1980 Die Ibiza-Spur (SM)
Scherbe heraus, begann am Seil zu schneiden.
Lieber Gott, mach, daß mir diese Scherbe jetzt nicht aus der Hand fällt! Lieber Gott, mach, daß ich diesen lächerlichen Zentimeter Hanf schaffe!
Da hielt er schon das lose Ende des Seils in der Hand. Er stieß sich sofort vom Grund ab, suchte nicht erst nach den Sprossen, sondern ruderte mit Armen und Beinen aufwärts. Weiter, immer weiter, noch einmal, noch einmal. Mein Gott, so lang war doch die Strecke gar nicht! Noch einmal. Endlich. Wie ein Delphin schoß er aus dem Wasser. Atmete.
Mit einer letzten Schwimmbewegung gelangte er an die Schachtwand, schob die Brille hoch, tastete sich am gemauerten Rund entlang, bis er die Sprosse fand, hielt sich fest.
Er keuchte, pumpte gierig die Luft in sich hinein, die er noch vor einer halben Stunde als verpestet empfunden hatte und die ihm jetzt köstlich erschien und unendlich wohltat. Lange hing er so, die Arme über die eiserne Krampe gewinkelt, konnte es nicht fassen, daß er sich dort, wo seinen Bruder zu finden er so sehr gefürchtet hatte, um Haaresbreite sein eigenes Grab bereitet hätte.
Er hatte geplant, in dieser Nacht auch das Haus ein zweites Mal zu untersuchen, das Haus, das genau dort stand, wo laut Victors Plan der Stolleneingang sein mußte. Doch nun hatte er nur eines im Sinn, so schnell wie möglich von diesem furchtbaren Ort wegzukommen!
Aber er konnte noch nicht hinauf, mußte erst das von wer weiß wieviel Milliarden Mikroben verseuchte Wasser wieder loswerden. Er steckte den Finger in den Hals. Noch einmal der eruptive Vorgang. Noch einmal das Gefühl, ihm zerspringe die Brust. Doch dann, Erleichterung. Sicher ist noch was dringeblieben, dachte er, aber ich habe in Cartagena mit Jauche besprengten Salat gegessen und bin nicht krepiert, also werde ich auch mit diesem Gesöff fertig werden!
Als er sich endlich aufraffte, die ersten Sprossen zu erklimmen, spürte er, wie erschöpft er war. Es schien, als schleppe er seine Beine, die fest zutreten und ihm Halt geben sollten, wie nutzlose, pendelnde Gewichte hinter sich her. Immer wieder, wenn er eine neue Sprosse erstiegen hatte, mußte er alle Kraft zusammennehmen, damit sie ihm nicht wegknickten, und immer wieder mußte er sie entlasten, indem er allen Kraftaufwand in Hände und Arme verlegte.
Als er halb oben war, wollte er eine längere Pause einlegen. Er zwängte, um sich abzusichern, die Beine durch die Krampe und setzte sich auf das Gestänge.
Was für ein höllischer Schacht! Er konnte es immer noch nicht begreifen, daß er, während Christiane im ROCA LLISA auf ihn wartete, hier fast zu Tode gekommen wäre, denn er hatte dieses Bauwerk, das vermutlich gar keine Zisterne, sondern nur ein Auffangbecken für das früher einmal aus dem Erzstollen abgeleitete Grundwasser war, für einen zwar unheimlichen, aber im Grunde nicht für einen wirklich bedrohlichen Ort gehalten.
Gott sei Dank bin ich fertig da unten, dachte er, muß nicht noch einmal hinunter und bin, wenn auch ganz knapp, mit halbwegs heiler Haut davongekommen.
Er hatte einige Blessuren, die er erst jetzt bemerkte. Bei dem panischen Versuch, die Leine aus dem Gerümpel zu ziehen, hatte er sich ein paar Schrammen geholt, auf der Brust und am rechten Oberschenkel. Und er hatte sich in den Daumen der rechten Hand geschnitten, als er die Scherbe aus dem Lampenfenster herausriß. Dann, das Wasserschlucken! Bestimmt hatte er im ganzen einen Liter dieser trüben Brühe getrunken und längst nicht alles wieder ausgespuckt, aber sein Magen war gesund und friedlich, wenn man ihn nicht gerade mit halbverwesten Hunden schockierte. Sonst war nichts. Doch, die Lampe! Die hatte er eingebüßt, aber das war ein Verlust, den er verschmerzte, zumal sie ihm das Leben gerettet hatte. Nun wird sie, dachte er, auf ewig da unten liegen, ein Stück mehr des Gerumpels in diesem makabren Arsenal.
Er zog die Beine wieder aus der metallenen Öse heraus, kletterte weiter, merkte, daß er allmählich wieder zu Kräften kam. Am schlimmsten war der Schock, dachte er, der Schock und natürlich die Todesangst. Die beiden haben mich fertiggemacht. Aber nun hab ich sie abgeschüttelt, bin wieder obenauf. Ja, so dachte Klaus Hemmerich in diesem Augenblick, und wie sollte er auch ahnen, daß es noch nicht vorbei war, sondern daß eine weitere Heimsuchung, kaum minder gefährlich als die soeben überstandene, auf ihn wartete!
Er stieg ohne neuerlichen Verzug hinauf, zwängte sich durch die Luke, schloß gewissenhaft
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