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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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war, um einer Überwachung für wert befunden zu werden, konnte vierundzwanzig Stunden des Tages den Argusaugen der Polizei und dem Getrommel der amtlichen Propaganda ausgesetzt gehalten werden, während ihm alle anderen Verbindungswege verschlossen blieben. Jetzt, zum erstenmal, bestand die Möglichkeit, allen Untertanen nicht nur vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Willen des Staates, sondern auch vollkommene Meinungsgleichheit aufzuzwingen.
    Nach der revolutionären Periode der fünfziger und sechziger Jahre gruppierte sich die menschliche Gesellschaft wie immer wieder in eine Ober-, eine Mittel- und eine Unterschicht. Aber die neue Oberschicht handelte anders als ihre Vorläufer, nicht aus dem Instinkt heraus, sondern wußte, was nötig war, um ihre Stellung zu behaupten. Man war seit langem dahintergekommen, daß die einzig sichere Grundlage einer Oligarchie im Kollektivismus besteht. Wohlstand und Vorrechte werden am leichtesten verteidigt, wenn sie Gemeinbesitz sind. Die sogenannte »Abschaffung des Privateigentums«, die um die Mitte des Jahrhunderts vor sich ging, bedeutete in der Auswirkung die Konzentration des Besitzes in weit weniger Händen als zuvor; aber mit dem Unterschied, daß die neuen Besitzer eine Gruppe waren, statt eine Anzahl von Einzelmenschen. Als einzelnem gehört keinem Parteimitglied etwas, außer seiner unbedeutenden persönlichen Habe. Kollektiv gehört in Ozeanien der Partei alles, da sie alles kontrolliert und über die Erzeugnisse nach Gutdünken verfügt. In den auf die Revolution folgenden Jahren konnte sie nahezu widerstandslos diese beherrschende Stellung einnehmen, da das ganze Verfahren als eine Kollektivhandlung hingestellt wurde. Man hatte immer angenommen, daß nach der Enteignung der Kapitalistenklasse der Sozialismus nachfolgen müsse: Und die Kapitalisten waren fraglos enteignet worden.
    Fabriken, Bergwerke, Land, Häuser, Transportmittel – alles war ihnen weggenommen worden: und da diese Dinge nicht mehr Privateigentum waren, folgte, daß sie öffentlicher Besitz sein mußten. Engsoz, der aus der früheren sozialistischen Bewegung hervorging und das Erbe ihrer Phraseologie antrat, hat in der Tat den Hauptpunkt des sozialistischen Programms zur Durchführung gebracht, mit dem vorhergesehenen und gewünschten Ergebnis, daß wirtschaftliche Ungleichheit zu einem Dauerzustand wurde.
    Aber die Probleme, eine hierarchische Gesellschaftsordnung für immer einzusetzen, liegen tiefer. Es gibt nur vier Möglichkeiten, auf die eine herrschende Gruppe der Macht verlustig gehen kann. Entweder wird sie von außen überwunden; oder sie regiert so ungeschickt, daß die Massen zu einer Erhebung aufgerüttelt werden; oder sie läßt eine starke und unzufriedene Mittelschicht aufkommen; oder aber sie verliert ihr Selbstvertrauen und die Lust am Regieren. Diese Gründe wirken nicht vereinzelt, und in der Regel sind alle vier von ihnen in gewissem Grade vorhanden. Eine herrschende Klasse, die sich gegen sie alle schützen könnte, bliebe dauernd an der Macht. Letzten Endes ist der entscheidende Faktor die geistige Einstellung der herrschenden Klasse selbst.
    Nach Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts war die erste Gefahr in Wirklichkeit verschwunden. Jede der drei Mächte, die sich heute in die Welt teilen, ist faktisch unüberwindlich und könnte nur durch langsame Änderungen in der Zusammensetzung ihrer Bevölkerung, die eine Regierung mit weitgehender Macht leicht abwenden kann, überwindlich gemacht werden. Die zweite Gefahr ist ebenfalls nur eine theoretische. Die Massen revoltieren niemals aus sich selbst heraus und lehnen sich nie nur deshalb auf, weil sie unterdrückt werden. Tatsächlich werden sie sich, solange man ihnen keine Vergleichsmaßstäbe zu haben erlaubt, überhaupt nie auch nur bewußt, daß sie unterdrückt sind. Die immer wiederkehrenden Wirtschaftskrisen vergangener Zeiten waren vollständig unnötig und dürfen jetzt nicht eintreten, aber andere und ebenso grundlegende Verschiebungen können eintreten und treten ein, ohne politische Folgen zu haben, denn es gibt keinen Weg, auf dem sich die Unzufriedenheit laut äußern könnte. Was das Problem der Überproduktion anbelangt, das in unserer Gesellschaftsordnung seit der Entwicklung der Maschinentechnik latent war, so ist es durch den Kunstgriff dauernder Kriegführung gelöst worden (siehe drittes Kapitel), die sich auch als nützlich erweist, um die allgemeine Moral zur nötigen Hochstimmung anzufeuern. Daher

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