1988 VX (SM)
Mauerrand und … wäre fast in den Schacht zurückgestürzt, so entsetzte ihn der Anblick, der sich ihm bot. In dem Sand-Torf-Gemisch lagen seine Leute! Tot! Mit wachsbleichen Gesichtern und starren, weit aufgerissenen Augen! Laura, Joseph, Hübner und Rademacher!
6.
Es dauerte einige Sekunden, bis er sich für die nächsten Schritte zu sammeln vermochte. Nun war es zur Gewißheit geworden: Sein eigenes Leben hing an einem seidenen Faden.
Er sah über die Toten hinweg und suchte nach den beiden anderen in der Etappe postierten Mitgliedern der Gruppe, die mit Sicherheit nicht minder gefährlich waren als die ins Camp eingedrungenen.
Und entdeckte sie! Hilario und Sieglinde knieten etwa zwanzig Meter entfernt über einer Landkarte. Es mußte eine Landkarte sein, denn in dem etwas hitzig geführten Gespräch fielen mehrfach Begriffe wie »Autobahn« und »Bundesstraße«, und es wurden Kilometer- und Zeitangaben gemacht.
Mit einem raschen Rundblick orientierte er sich über seine strategischen Möglichkeiten. Er war froh, daß die Turniergeräte in der Halle geblieben waren. Ohne die aufgetürmten Oxer, Mauern, Hürden und Rickhecken hätte er keine Chance gehabt, unbemerkt den etwa zwanzig Meter langen Weg vom Schacht bis zur kleinen Tür zurückzulegen. Da diese Requisiten vorher dazu gedient hatten, die Rohrstücke und Schneckensegmente zu verdecken, standen sie nicht unmittelbar an der Hallenwand, sondern etwa zwei Meter davor, so daß sie zusammen mit der Wand einen Hohlweg bildeten.
Er kletterte hinunter, rückte die Leiter ein Stück zur Seite, gab ihr einen Platz, der es ihm vielleicht ermöglichen würde, dem Schacht im Sichtschutz des Bahnrichterturms zu entsteigen. Er warf einen letzten Blick auf die am Boden liegende Helga Jonas, kletterte dann die Leiter hinauf, sah, daß der Turm ihn völlig verdeckte, erklomm vorsichtig den Schachtrand, richtete sich auf und schlich an der Hallenwand entlang in Richtung auf die Tür. Für ein lautloses Sich-Vorwärtsbewegen waren die Voraussetzungen gut. Die dicke Lage aus Sand und Torf schluckte jeden Schritt. Er mußte nur darauf achtgeben, daß er nirgendwo anstieß, und die am Gürtel hängende Tasche festhalten, damit sie nicht schepperte.
Er kam schnell voran. Aber Eile war auch dringend geboten, denn jeden Augenblick konnte es passieren, daß einer der beiden – vielleicht, um die Wartezeit mit einer Plauderei zu überbrücken – zu Helga Jonas ging. Sollte das geschehen, solange er noch in der Halle war, brauchte er sich über seinen weiteren Weg keine Gedanken mehr zu machen. Dann wäre seine Flucht zu Ende.
Jetzt hatte er drei Viertel der Strecke hinter sich gebracht.
Das Passieren der kleinen Tür, das wußte er sehr wohl, barg noch einmal ein beträchtliches Risiko. Er war sich nicht sicher, ob man sie geräuschlos öffnen konnte, und so holte er nun doch die Pistole aus Igors Tasche. Es war ein kleines, ihm unbekanntes Modell.
Er erreichte die Tür. Wie sehr die Angst sich seiner bemächtigt hatte, spürte er an den Händen, die leicht zitterten, und auch an den Beinen, die schlapp waren und unsicher wie bei jemandem, der nach langer Krankheit zum erstenmal wieder aufsteht. Nur keine Schwäche jetzt! sagte er sich. Nur nicht dem Tod Vorschub leisten durch zuviel Angst vor ihm! Zwar gab die Waffe in seiner Hand einen gewissen Schutz, aber da er noch nie auf einen Menschen geschossen und es überdies mit zwei Gegnern zu tun hatte, schließlich auch nicht wußte, für wie lange er Helga und Igor ausgeschaltet hatte, war das Ausmaß der Gefahr schwer einzuschätzen.
Er drückte die Tür einen Spaltbreit auf. Kein noch so geringer Laut war entstanden, und so huschte er hinaus, lief dann los, gelangte zum VOLVO, stieg ein, zog, so leise es ging, die Tür zu, schnallte den Gürtel ab und warf ihn mitsamt der Tasche auf den Rücksitz. Das Licht schaltete er nicht ein. War eine verdammt glückliche Eingebung, dachte er, die mich lange vor dem bösen Erwachen das Richtige hat tun lassen! Wenn ich erst noch Autoschlüssel, Geld und Papiere aus dem Haus hätte holen müssen, wäre viel Zeit verlorengegangen.
Er startete, verließ den Hof. Da er sich hier auskannte wie nirgendwo sonst auf der Welt, konnte er es sich leisten, zunächst ohne Licht zu fahren. Während der ersten zweihundert Meter, auf dem Stück bis zur Einbiegung in die Landstraße, hielt er das Tempo gedrosselt. Sobald er abgebogen war, schaltete er das Licht ein und brachte den Motor auf
Weitere Kostenlose Bücher