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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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schon das Licht am Ausgang des Tunnels.
Was mach’ ich, wenn ich da ankomme? Mit Sicherheit hockt ein Posten im Schacht, der auf das Signal aus dem Unterstand wartet. Was mache ich mit ihm?
Nun hielt er doch für einen Augenblick inne, kniete sich hin, öffnete die Tasche des Russen, tastete ihren Inhalt ab, fand eine Pistole, Papiere, schließlich noch einen faserigen Gegenstand, der nach Naphtalin roch. Er brauchte eine Weile, bis er begriffen hatte, daß es sich um eine Perücke handelte. Er legte die Sachen zurück, schloß die Tasche, kroch weiter.
Auf den letzten Metern bewegte er sich nur noch ganz langsam und völlig lautlos. Bald schon konnte er die Gestalt sehen, die im Schacht stand. Er sah sie nicht ganz, nur die Beine in der dunklen Hose.
Noch zwölf Meter ungefähr. Ich muß ihn angreifen! Ich will ihn nicht töten, aber ich muß ihn ausschalten. Noch zehn Meter.
Alles wird davon abhängen, ob ich ihn daran hindern kann, die anderen zu verständigen.
Noch acht Meter.
Viel Platz hab’ ich nicht für meine Attacke. Anderthalb Meter beträgt der Schachtdurchmesser, und für einen Kampf ist das verdammt wenig. Unsinn, einen Kampf darf es gar nicht geben! Der Posten braucht ja nur einen einzigen Schrei auszustoßen, und der Schacht wird mein Grab!
Noch sechs Meter, noch fünf, noch vier.
Jetzt konnte er schon erkennen, daß die Schuhspitzen nicht in Richtung Tunnel, sondern seitwärts zeigten. Das war eine beruhigende Entdeckung.
Noch drei Meter, zwei.
Er hielt inne, atmete tief durch, zwang sich zu äußerster Konzentration. Weiter!
Jetzt war’s noch gut ein Meter.
Er machte zwei wichtige Beobachtungen auf einmal: Der Posten stand nicht, sondern saß, und zwar auf der Seilrolle. Und: Es war eine Frau!
Er hatte während der Bauarbeiten zu Sieglinde Bühler und Helga Jonas wenig Kontakt gehabt, nur hin und wieder ein paar Worte mit ihnen gewechselt. Welche der beiden Frauen er nun vor sich hatte, konnte er nicht erkennen, aber die Schuhgröße verriet ihm eindeutig, daß es keine Männerfüße waren, die da auf dem Kiesboden ruhten.
Noch ein Stück näher heran!
Wenn ich nun einfach die Waffe hervorhole und sie ihr entgegenhalte? Nein, dann wird sie schreien, und sofort sind die anderen da.
Was macht sie, wenn ich in der Öffnung erscheine, »Pst!« sage und den Zeigefinger auf meine Lippen lege, vielleicht noch geheimnisvoll mit dem Daumen nach rückwärts über meine Schulter weise, als gäbe es da irgendeine Gefahr? Wird sie sich für den einen entscheidenden Augenblick zu mir hinabbeugen, so daß ich sie mit dem Pistolenknauf niederstrecken kann wie den Russen mit der Kurbel? Oder wird sie erstmal die beiden anderen herbeirufen?
Noch einmal robbte er ein Stück nach vorn, drei, vier Handbreiten. Dann erkannte er, daß es Helga Jonas war, die da saß, Roberts Freundin, und daß sie sich in einer für ihn günstigen Position befand. Wenn er plötzlich in der Rohröffnung erschiene, würde sie ihn nicht gleich sehen. Die Lampe leuchtete zwar den ganzen Schacht aus, aber sie befand sich auf halber Höhe, hing an einem Haken, den man in die Mauer getrieben hatte, und schien der jungen Frau genau ins Gesicht. Sie mußte also geblendet sein. Noch etwas entdeckte er: Sie rauchte. Er sah die herunterhängende Hand mit der brennenden Zigarette. Ich warte, überlegte er, bis die Hand nach oben geht. Dann macht sie wahrscheinlich einen Zug und ist für eine Sekunde beschäftigt, also beschäftigt und geblendet, und folglich … Die Hand ging nicht nach oben, sondern nur ein kleines Stück nach vorn, und gleich darauf fiel der Zigarettenstummel in den Kies. Dafür aber hob sich einer der beiden Füße, ein kleines Stück nur, um gleich darauf den glimmenden Zigarettenrest in den Kies zu mahlen. Auch das ist Beschäftigung! schoß es ihm durch den Kopf. Er sprang auf, stürzte sich auf das Mädchen, packte sie mit beiden Händen am Hals, drückte zu. Der Schrei, zu dem sie angesetzt hatte, kam nicht mehr heraus, ging im Röcheln unter.
Immer fester drückte er zu. Ihm kam nicht der Gedanke, daß das, was er tat, von einem bestimmten Augenblick an nicht mehr nur die Überwältigung eines Gegners wäre, sondern Mord, war einzig darauf bedacht, diesen Ort der akuten Lebensgefahr so schnell wie möglich zu verlassen. Schließlich – Helga Jonas war längst in sich zusammengesunken – lockerte er den Griff, ließ sie langsam zu Boden gleiten, kletterte dann die Leiter empor, schob seinen Kopf vorsichtig über den

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