1988 VX (SM)
Touren.
Er fuhr nicht nach Wasloh, sondern in Richtung Autobahn, hatte den Plan aufgegeben, Alarm zu schlagen. Mittlerweile war ihm klargeworden, daß er sich dadurch in größte Schwierigkeiten brächte. Wie sollte er es je schaffen, glaubhaft darzustellen, daß er sein Land hergegeben hatte, sein Haus, seine Reithalle und sein Geld für den gründlich geplanten und in zweiwöchiger Arbeit hergestellten Tunnel, ja, daß er sogar die Absicht gehabt hatte, sich am Diebstahl der Granate zu beteiligen, aber mit dem Mord an Braden und Haggerty, mit den Toten im Camp und in seiner Reithalle nichts zu tun hatte? Kein Mensch, sagte er sich, wird mich für unschuldig halten!
Er fuhr jetzt mit Tempo hundertsechzig, ging aber in den Ortschaften mit der Geschwindigkeit herunter, wollte auf keinen Fall von einer Streife gestoppt werden. Kurz bevor er die Autobahn erreichte, warf er Igors Waffe in einen Wassergraben.
Er plante, so schnell wie möglich die französische Grenze zu überqueren. Zwar würde nach Aufdeckung des Verbrechens natürlich auch INTERPOL eingeschaltet werden, aber es konnte ja sein, daß man im französischen Raum nicht ganz so gründlich nach ihm suchte wie auf deutschem Boden.
Er hatte vor, dann auch Frankreich möglichst schnell wieder zu verlassen, wollte versuchen, auf der Route Dijon, Lyon, Avignon, Béziers und Perpignan an die spanische Grenze zu gelangen, sie zu überqueren und sich nach Barcelona durchzuschlagen. Von dort aus, so hatte er sich überlegt, würde er Katharina anrufen und sie bitten, ihre Zelte auf Ibiza abzubrechen und zu ihm zu stoßen.
7.
Bis jetzt war jede Einzelaktion nach Plan verlaufen. Der Posten vor den Panzern war durch Zaymas Messerstich ausgeschaltet und dann ins Gebüsch geschleift worden. Gleich danach hatten sie an den fünf schweren Kettenfahrzeugen je eine Ladung des in den Taschen mitgeführten knetbaren NITROPENTA-Sprengstoffs angebracht. Als Zündvorrichtungen dienten batteriebetriebene Miniwekker, bei denen die Stromkreise über die Summer geschlossen wurden. Die Weckzeit war bei allen fünf Anlagen auf 3.03 Uhr eingestellt worden. Und sie hatten sich den Schlüssel für den VX-Bunker beschafft! In dem von Haggerty als Wachstation bezeichneten Gebäude, das etwa hundertfünfzig Meter vom Zaun entfernt stand, hatten sie die Tür aufgerissen und waren in die Wachstube eingedrungen, Robert und die Libyerin voran. Alle vier kannten von Haggertys Zeichnungen her die Aufteilung des Gebäudes, und so waren die einzelnen Aufgaben schon lange vor dem Überfall verteilt gewesen. Robert und Zayma hatten unmittelbar nach Betreten des Dienstzimmers die beiden dort sitzenden GIs niedergeschossen. Wegen der Schalldämpfer waren die Schüsse außerhalb des Hauses nicht zu hören gewesen. Pierre und Wladimir waren sofort weitergestürmt in das angrenzende Zimmer. Haggerty hatte es beschrieben als einen Ruheraum für sechs weitere GIs, die dort schliefen und jeweils zu zweit im ZweiStunden-Rhythmus die Wachhabenden abzulösen hatten. Es war für die Eindringlinge ein leichtes gewesen, an die Feldbetten heranzutreten und die Schlafenden durch gezielte Kopfschüsse zu liquidieren. Zayma hatte in der Zwischenzeit den Schlüssel für den Bunker Nr. 26 aus dem Schrank genommen. Damit allein wären sie allerdings nicht an die Granaten herangekommen. Sie hatten diesen Umstand von Anfang an vermutet und daher auch noch das letzte Geheimnis aus Haggerty herausgepreßt. So war Zayma anschließend an die in eine Wandnische eingelassene Stromzähler-Attrappe getreten und hatte sich die dort gespeicherte Zahl notiert, die den Code darstellte, den man brauchte, um die Türschlösser der Munitionsbunker öffnen zu können. Er wurde allnächtlich um vierundzwanzig Uhr von der Zentrale aus geändert.
Alle vier hatten dann die Station verlassen und waren im Schatten der Bäume bis zum Bunker Nr. 26 vorgedrungen. Dort hatte Zayma in die links neben dem Eingang angebrachte Schalttafel die Zahl eingegeben und dann die Tür mit dem Schlüssel geöffnet. Darauf hatten sie das niedrige, zur Hälfte in die Erde eingelassene Gebäude betreten, die aus Panzerglas bestehenden Scheiben verdunkelt und im Licht ihrer Taschenlampen zwei der mit roten Ringen gekennzeichneten VX-Granaten aus den Halterungen gelöst. Bei der letzten, vor Golombek geheimgehaltenen Zusammenkunft hatte Robert gesagt: »Ihr wißt, ich bin ein Sicherheitsfanatiker, und darum will ich eine Ersatzgranate! Man weiß nie, was kommt.«
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