1988 VX (SM)
wiederholen; sie gaben auch Informationen, sei es über erste Hilfsmaßnahmen im Falle einer VX-Vergiftung, sei es über die Möglichkeit, einer Kontamination zu entgehen. Gesundheitsämter und Apotheken verteilten gratis mit Atropin gefüllte Fertigspritzen; doch der Vorrat war schnell zu Ende. Ähnlich verlief es bei der Ausgabe von Gasmasken. Es mußten schon solche mit teuren Spezialfiltern sein, und von denen war ein großer Teil für die eventuell notwendig werdenden militärischen Einsätze zurückzuhalten. So also war die Lage. Die Versorgung mit Informationen funktionierte, die mit Schutzmitteln jedoch blieb dürftig. Selbst die Krankenhäuser konnten nicht ausreichend mit Medikamenten und Masken ausgerüstet werden.
Jeder stellte sich die Frage: Wo wird das Gas zum Einsatz gelangen? Und das war etwa so, als stände der Aufprall eines gewaltigen Meteoriten auf die Erde unmittelbar bevor und alles hinge nun vom Ort des Einschlags ab.
Die Zusammenziehung der militärischen Kräfte indes vollzog sich planmäßig. In der Nähe aller größeren Städte lagen sie in Bereitschaft, und die Fachleute hatten sich, wie vom Krisenstab empfohlen, auf den Flughäfen eingefunden, um im Bedarfsfall sofort an den Einsatzort gebracht werden zu können.
Im kleinen Konferenzraum des Bundeskriminalamtes waren wieder die Männer und Frauen versammelt, die zwar nicht das höchste Entscheidungsgremium bildeten, aber doch als Zulieferer von Informationen sowohl an die Regierung als auch an die untergeordneten Dienststellen Verantwortung trugen.
»Wir haben ja schon erörtert«, sagte Oberst Conrady, »daß die Terroristen trotz der Sperrung des zivilen Flugverkehrs auch aus der Luft angreifen könnten. Für diesen Fall habe ich eine Frage, das heißt, ein Batteriechef der Flugabwehr hat sie gestellt, und zwar, wie mir scheint, zu Recht. Was soll geschehen, wenn wir eine nicht gemeldete Maschine auf dem Radarschirm entdecken? Und was, wenn der Pilot auf die Anordnungen der Bodenstation nicht reagiert? Mir sind zwei mit unserer Situation vergleichbare Fälle bekannt. Beide Male waren die Russen die Betroffenen. Den Hasardeur aus Wedel haben sie nicht abgeschossen, wohl aber den vollbesetzten koreanischen Jumbo.«
»Ich sehe«, sagte Lemmert, »doch einen erheblichen Unterschied zwischen diesen Vorkommnissen und unserer Lage. Die Russen waren nicht bedroht, und …«
»Woher wollen Sie das wissen?« fragte Conrady. »Soweit ich unterrichtet bin, haben sie zumindest im Falle des Jets eine feindliche Aufklärungsaktion vermutet, da die Maschine Gebiete mit militärischen Anlagen überflog.«
»Das stimmt schon«, gab Lemmert zu. »Trotzdem bleibt da ein Unterschied, nämlich der zwischen Vermutung und Wissen, wobei dann noch dahingestellt sein mag, inwieweit die Russen bei einem vom Kurs abgekommenen Linien-Jumbo überhaupt Anlaß zu einer solchen Vermutung hatten. Wir aber vermuten nicht! Uns ist die Katastrophe unmißverständlich angekündigt worden! Wenn also bei uns zum jetzigen Zeitpunkt eine Maschine am Himmel auftaucht, die weder gemeldet ist noch auf Anweisungen reagiert, muß sie, meine ich, abgeschossen werden.«
»Um Gottes willen!« rief Dr. Häßler aus, und er hob sogar beide Hände. »Doch nicht abschießen! Dann hätten wir den gleichen Effekt wie bei einem Bombenabwurf, und das VX käme zur Wirkung! Abdrängen, das wäre mein Vorschlag, und dann zur Landung zwingen.«
Colonel Morrison nickte ihm zu, und dann sagte er: »Ich glaube allerdings nicht daran, daß die Kerle mit dem Flugzeug kommen. Die wissen, wie jeder andere, von der Sperrung des deutschen Luftraums für private Flüge. Außerdem haben sie viel ungefährlichere Möglichkeiten, ihr Gas an den Mann zu bringen. Trotzdem muß die Frage des Batteriechefs natürlich beantwortet werden, und zwar nach meiner Meinung in der Form, die Dr. Häßler vorgeschlagen hat.«
Die anderen erklärten ihr Einverständnis.
Als die Sitzung in die dritte Stunde ging, meldete sich die aus Hamburg stammende und seit zwei Jahren im Gesundheitsministerium tätige Ärztin Dr. Jutta Fiering zu Wort. »Ich meine,« begann sie, »wir sollten unser Hauptaugenmerk nicht auf das Gas richten, sondern auf die Leute, die es haben! Wir sollten versuchen, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, und ihnen dann ein großzügiges Angebot machen. Am besten, wir schlagen ihnen einen Tauschhandel vor. Sie verzichten auf die Durchführung ihres mörderischen Vorhabens, und wir zahlen ihnen dafür,
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