1988 VX (SM)
hätten! Ich glaube, ich könnte mich vergessen, um herauszubekommen, wo sie die beiden Granaten versteckt haben, oder einen meiner Männer bitten, mit dem Kerl nach nebenan zu gehen und dann … die Nerven zu verlieren. Na ja: könnte, hätte, wäre …! Der verfluchte Konjunktiv hilft uns nicht weiter. Wenn wir doch wenigstens diesen Golombek hatten!«
»Da ist er schon wieder«, sagte Lemmert, »der Konjunktiv.«
Schattner nahm ihm den Hinweis nicht übel. Er lachte sogar, wurde aber schnell wieder ernst und schloß die Sitzung mit den Worten: »Grundsätzlich hätte ich es auch lieber mit den Tätern zu tun als mit ihrem Giftgas. Wieder mal ›hätte‹. Verdammt, wir müssen sie in die Finger kriegen! Intensivieren wir also die Fahndung!«
5.
Die Batterie lag südlich des Plöner Sees, nahe der B 432, am Rande eines Wäldchens. Dort hatte sie im Laufe des Nachmittags Stellung bezogen, und damit war für sie der erste Teil des Manövers, die Divisions-Gefechtsübung, beendet gewesen. Jetzt war es drei Uhr nachts.
In einem der am Waldrand aufgereihten MTWs, der Mannschafts-Transportwagen, lagen der Oberleutnant der Reserve Paul Stapelfeld, der Fahnenjunker Georg Jöns und der Hauptgefreite Matthias Ruhnke in ihren Schlafsäcken. In den fünf anderen MTWs waren ebenfalls je drei Mann untergebracht.
Zu dem Fahrzeugkonvoi gehörten sechs Haubitzen sowie zwei LKWs, einer mit Munition, der andere mit Treibstoff beladen. Selbst auf den Haubitzen schliefen je zwei Mann. Sie lagen auf der Motorabdeckung, die einen bevorzugten Platz darstellte, weil sie noch Stunden nach der Fahrt die Wärme gespeichert hielt; für Schutz gegen Wind und Regen sorgten Zeltbahnen, die über dem waagerecht stehenden Geschützrohr hingen und auf beiden Seiten schräg nach unten verliefen, so daß sie eine Art Giebeldach bildeten.
Dadurch, daß ein Teil der Soldaten im Fahrzeugbereich untergebracht worden war, hatte man die in der Mitte der Wiese errichteten Zelte entlastet; dort schliefen unter anderem auch die vierzehn Männer des BatterieFührungstrupps. Im ganzen kampierten achtzig Personen auf dem von einem Bauern für die Zeit des Manövers zur Verfügung gestellten Gelände.
Für Paul Stapelfeld war es eine unruhige Nacht. Er schlief schlecht, war – aus dem vorletzten Semester seines Jura-Studiums heraus – zu diesem Manöver einberufen worden und das Biwakieren nicht mehr gewohnt. Dreimal war er nun schon aufgewacht. Jetzt kroch er aus seinem Schlafsack, richtete sich auf, stieß dabei mit dem Kopf gegen das Kartenbrett, das jemand wegzuräumen versäumt hatte, fluchte leise vor sich hin. Er war 1,94 Meter groß und hatte sich damals, als es gleich nach dem Abitur zum Wehrdienst ging, zur Panzertruppe gemeldet, doch das Ergebnis der Musterung hatte gelautet: »Volltauglich, aber wegen seiner Körpergröße für den Einsatz in Panzerfahrzeugen nicht geeignet.« So war er bei der Artillerie gelandet, hatte sich zum Offizier ausbilden lassen, es bis zum Oberleutnant gebracht und nach der Entlassung mit dem Studium begonnen.
Er stakte über die beiden anderen hinweg, öffnete leise die Heckklappe, sprang hinunter, tastete nach der Beule an seinem Kopf, zündete sich eine Zigarette an und ging dann an den Transportern, den LKWs und den Haubitzen entlang. Sie standen alle mit dem Heck zum Wald, und sowohl der Abstand zu den Bäumen wie auch der zwischen den Fahrzeugen betrug etwa drei Meter.
Als er beim letzten Wagen angekommen war, machte er kehrt, schritt die Reihe noch einmal zur Hälfte ab und schwenkte dann ein in Richtung auf die Zelte. Er umrundete sie, sprach ein paar Worte mit einem der Posten und kehrte zu seinem Wagen zurück, kletterte hinauf, beneidete die beiden anderen um ihr tiefes Entrücktsein, kroch wieder in den Schlafsack, sehnte sich nach seinem Zimmer in Kiel, das so nah war und doch so weit weg. Er würde nämlich nicht, wie ursprünglich vorgesehen, am nächsten Tag dorthin zurückkehren. Das eigentliche Manöver, die große, im Holsteinischen veranstaltete Gefechtsübung, war zwar beendet, doch gestern war die Order für einen zusätzlichen Einsatz gekommen. Sein Name: OPERATION APPENDIX.
Vor einer Woche hatte alles begonnen. Er hatte sich, zusammen mit einem Dutzend anderer Reservisten, beim Bataillonsstab gemeldet. Nach einer kurzen Begrüßung durch den S1, der in der Kaserne das Nachkommando führte, und der Erledigung mannigfacher schriftlicher Formalitäten war es zunächst darum gegangen, die
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