1988 VX (SM)
Wieder studierte Pierre die Karte. Die Straße, auf der sie und – ihnen ein gutes Stück voraus – die Militärfahrzeuge sich befanden, würde nach etwa zehn Kilometern auf die B 207 und wenig später auf die Autobahn stoßen. Es gab also noch mehr Möglichkeiten, in Richtung Putlos abzubiegen.
Sie fuhren auf, überholten den Konvoi, was viel Zeit in Anspruch nahm, scherten kurz vor der nächsten Kreuzung aus und stellten sich auf den Parkplatz einer Gaststätte, ließen die Kolonne vorbeiziehen. Dann setzten sie die Verfolgung fort, sorgten aber dafür, daß einige Privatwagen zwischen ihnen und dem letzten Militärfahrzeug waren. Bei der nächsten Abzweigung bog der Konvoi wiederum nicht ein. Es geschah etwas ganz anderes: Er vergrößerte sich! Kaum hatte er die Kreuzung passiert, kam aus der querverlaufenden Straße eine gleiche Anzahl von Fahrzeugen und hängte sich an die vorausgefahrenen, so daß da nun zwei Batterien unterwegs waren. Robert, Zayma und Pierre irritierte dieser Zuwachs nicht, paßte er doch gut zu der von ihnen erwarteten Ansammlung zahlreicher Truppenverbände.
Sie rechneten nun mit einem Einbiegen in die Autobahn. Doch als sie erkannten, daß auch dort nicht eingeschwenkt, sondern geradeaus weitergefahren wurde, kam in ihnen zum erstenmal die Befürchtung auf, ihre Minen könnten das große Treffen deutscher, englischer und amerikanischer Truppen verfehlen. Ja, sie fragten sich sogar, ob dieses Treffen überhaupt stattfinden würde. Hundertfünfzig bis zweihundert Personen waren ihnen bei weitem nicht genug als potentielle Opfer ihrer mit so vielen Mühen verbundenen Operation.
Noch einmal blickte Pierre auf die Landkarte. »Es gibt«, sagte er schließlich, »eine letzte Möglichkeit, nach Putlos zu kommen. Sie nehmen die Bäderstraße, die am Ostseestrand entlang verläuft. Das ist allerdings ein Umweg.«
Der erste richtige Schreck wurde ihnen eingejagt, als der Konvoi die Bäderstraße erreichte, dann aber nicht nach links, sondern nach rechts, in Richtung Süden, abbog. Damit stand fest: Putlos war nicht das Ziel!
»Es ist zum Kotzen!« schimpfte Robert. »Muß man denn alles selbst machen? Zwei von uns haben sich tagelang hier herumgetrieben, hatten einzig und allein die Aufgabe, die bevorstehenden Manöverbewegungen zu erkunden! So was ist ’ne Kleinigkeit! Die Gemeinden, die Automobilclubs, die Polizeistationen und sogar die MilitärDienststellen geben darüber Auskunft, sind verpflichtet dazu. Auf den Straßen läuft der normale Verkehr ja weiter, und darum müssen so massive Beeinträchtigungen, wie Manöver sie mit sich bringen, angekündigt werden. Wirklich, tagelang hatten sie Zeit, das rauszukriegen, und nun dies!«
»Vielleicht«, warf Pierre ein, »hat sich im letzten Moment was geändert. Immerhin haben wir auch im Raum Hamburg Militärfahrzeuge gesehen, sehr viele sogar, und Hamburg gehörte überhaupt nicht zum Manövergebiet.«
Sie bogen rechts ab, folgten dem Konvoi, der auf der schmalen Küstenstraße Behinderungen hervorrief. Dann und wann gaben einzelne Autofahrer ihrem Unmut darüber durch kräftiges Hupen Ausdruck, doch der lange grüne Wurm kroch unbeirrt an der Ostsee entlang, erreichte Timmendorf er Strand.
Jenseits des langgestreckten Ortes ging es weiter, zwar nicht mehr an der Küste entlang, sondern, der Straße folgend, landeinwärts und, wie Pierre vermeldete, auf Gneversdorf zu.
»Es könnte doch sein«, sagte Zayma, »daß das große Treffen einfach nur woanders stattfindet.«
»Wenn es denn so wäre!« erwiderte Robert. »Aber was, wenn der Konvoi nach Lübeck geht, sich da auflöst und unsere beiden VX-Laster, ob nun getrennt oder zusammen, in die Heide fahren oder in den Wald? Um halb elf stehen sie womöglich irgendwo auf einem einsamen Parkplatz, und außer den beiden Fahrern werden nur ein paar Eidechsen und Spatzen von der Wolke erwischt! Das wäre dann, nach Golombeks Flucht und dem Boykott des WESTKURIERs, die dritte Panne.«
»Die eine haben wir doch durch die Attacke auf den Sender wettgemacht«, sagte Pierre. »Daraufhin haben alle Zeitungen die Granaten-Meldung gebracht, genau wie Rundfunk und Fernsehen.«
Doch Robert blieb mißmutig. »Den dritten Fehler«, erwiderte er, »könnten wir nicht mehr korrigieren.«
»Abwarten!« sagte Zayma, und sie fuhr fort: »Außerdem haben wir noch die zweite Granate. Aber vielleicht brauchen wir die gar nicht, weil Patrick sich noch jede Menge VX aus der ersten holen kann. Er
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