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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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hieß auch nicht Lübeck, und allem Anschein nach war ihre so sorgfältig ausgetüftelte Strategie über den Haufen geworfen worden! Es klang nach Galgenhumor, als Pierre seiner ganzen Enttäuschung in bildhafter Rede Luft machte: »Jetzt wird dieses widerliche, aufgerissene Fischmaul unseren schönen Wurm verschlingen!«
Sie parkten, fanden ein Hafenlokal, das schon geöffnet hatte, nahmen einen Fensterplatz. Von da aus konnten sie die Verladung beobachten, die sofort einsetzte und zügig vonstatten ging. Es war ein leichtes, die beiden Wagen auszumachen, an denen die Minen saßen. Als sie über die Planken schepperten, starrten die drei ihnen mit mißmutigen Gesichtern nach. Bald darauf war das letzte Fahrzeug vom Kai aufs Fährschiff übergewechselt. Die Bugklappe ging herunter. 
    »Vielleicht«, sagte Pierre, »heißt das Ziel Flensburg oder Kiel. Das hätten sie über Land schneller erreicht.« »Oder«, meinte Zayma, »sie nähern sich Putlos von See her, fahren zum Sperrgebiet, das laut Karte bis an die Küste reicht, und da üben sie das Ausladen ohne Hafenanlagen.«
Robert hatte die düsterste Version parat: »Und wenn das Ding nach Osten fährt und der Kollaps dann irgendwo auf der Höhe von Wismar oder Rostock kommt? Und der Wind dreht, und unser Totenschiff landet in Estland oder Lettland? Leute, dann hätte ich einen treffenden Titel für unser Trauerspiel: ZURÜCK AN DEN ABSENDER!«

7.
    Die Krisenstabsitzung hatte die ganze Nacht gedauert. Um eins hatten sich die sechzehn Männer und drei Frauen in dem kleinen Konferenzsaal versammelt; jetzt, um halb acht am Morgen, gingen sie auseinander. Sie waren – je nach Temperament und Verfassung – erregt, verstört, empört, zu kompromißloser Gegenwehr entschlossen oder auch, wie einer der Teilnehmer es von einem anderen behauptet hatte, bis hin zur Seelenlosigkeit besonnen.
    Lemmert verließ den Raum. Neben ihm ging sein Freund und Kollege, der Kriminalhauptkommissar Philipp Ahrens. Er war, wie Lemmert, Anfang Vierzig, hatte aber eine Frau und drei Kinder. Und weil es also Menschen gab, die zu Haus auf ihn warteten, hatte Lemmert nicht viel Hoffnung, als er fragte:
    »Kommst du noch mit zu mir?«
Um so überraschter war er, als Ahrens antwortete: »Mach’ ich.«
Die Begründung leuchtete ihm dann allerdings ein: »Wenn ich jetzt, so übernächtigt und vergammelt, wie ich bin, auf lauter ausgeschlafene Leute stoße, ist der Streit vorprogrammiert. Also halte ich mich fürs erste lieber an solche, die auch vergammelt sind.«
    Jeder fuhr in seinem eigenen Auto, und zehn Minuten später waren sie in der Wohnung.
Bis der Kaffee durchgelaufen war, spielten sie Billard, schrieben aber die Punkte nicht auf, wollten sich nur etwas Bewegung verschaffen nach dem vielen Sitzen. Und dann tranken sie Cornelius Lemmerts berüchtigten SpezialSchocker, bei dem drei gehäufte Teelöffel einer ohnehin nicht gerade magenschonenden Mischung auf eine Tasse kamen. Das Getränk sah aus wie flüssige Lakritze. Sie saßen in Sesseln, die an einem flachen, runden Tisch standen.
Philipp Ahrens war nicht nur genauso alt, er war auch genauso klein wie Lemmert, hatte aber eine stämmigere Figur, wirkte wuchtiger.
»Weißt du«, sagte er, »ich fühle mich an die SchleyerEntführung erinnert. Das ist jetzt zehn Jahre her. Der Kanzler brauchte Lösungsvorschläge und erklärte ausdrücklich, sie dürften von ihm aus auch gern exotisch sein.«
»Ja, ich weiß. Vor allem in der ersten Phase, als die Terroristen die LANDSHUT noch nicht hatten, was kam da alles auf den Tisch! Wir wollten die RAF-Gefangenen ausfliegen und in ein Potemkinsches Dorf verfrachten, irgendwo in der Negev-Wüste, wo man ihnen die Freiheit vorgegaukelt hätte. Ben Wisch war mehr für Togo. An ihrem Empfang sollten einige hundert als Touristen getarnte Polizeibeamte teilnehmen. Man wollte den Erpressern einen Film über die Freilassung zustellen und zum Schluß Baader und Komplizen wieder einsammeln. Der Haken an der Sache war: Keiner von uns glaubte so recht, daß Baader das Code-Wort preisgeben würde, solange er sich nicht wirklich frei fühlte.«
Philipp Ahrens nahm einen Schluck von seinem Mokka, schloß dabei genüßlich die Augen. »Hm. Der richtet mich auf! Ja, das war eins von vielen Modellen. Man sprach sich sogar dafür aus, die Todesstrafe wieder einzuführen. Da gab es überhaupt so manches, was nicht nur haarscharf, sondern meilenweit an unserer Verfassung vorbeischlidderte. Auch eine

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