1988 VX (SM)
Besitzer wir aus dem Bett holen können.«
»Was? Selbst in einer solchen Situation dürfen Sie sich nicht mit Gewalt Zugang verschaffen?«
Lemmert lachte. »Haben Sie eine Ahnung! Damit würden wir uns einen ganzen Haufen Läuse in den Pelz setzen. Nehmen wir mal an, es sind hundert Betriebe. Dann wissen wir doch von vornherein, daß neunundneunzig sauber sind.« Er lachte noch einmal auf. »Mein Gott, neunundneunzig zu Unrecht aufgebrochene Türen! Selbst wenn wir ganz brav auf der Matte stehen und ›Bitte, bitte‹ sagen, haben wir Schwierigkeiten. Wer läßt schon gern seinen Laden vom Keller bis zum Dachboden durchsuchen?«
»Aber es besteht doch so etwas wie ein nationaler Notstand!«
»Das schon, aber wer uns partout nicht reinlassen will, kann sich weigern. Im Normalfall rechtfertigen nur konkrete Verdachtsmomente eine Durchsuchung. Dann allerdings können wir sogar ohne richterlichen Beschluß vorgehen, das heißt, wenn es eilt und Gefahr im Verzug ist. In einem solchen Fall darf ein Polizist, der ja quasi ein Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft ist, die Durchsuchung ad hoc anordnen. So sagen es nun mal unsere Gesetze, und an denen ist nicht zu rütteln. Aber mit dem Notstand haben Sie nicht so ganz unrecht, und den werden unsere Leute, wenn sie an die Tür geklopft haben, natürlich ins Spiel bringen. Die Betroffenen wissen dann ja auch, daß eine Weigerung sie verdächtig machen würde.«
»Mir fällt da grad was ein«, sagte Golombek, aber als er sah, daß Lemmert schon wieder nach seinem Kugelschreiber griff, schwächte er ab: »Nein, nein, es ist keine neue Information, sondern nur eine ganz laienhafte Überlegung.«
»Trotzdem, schießen Sie los!«
»Wenn ich illegal eine Bombenwerkstatt unterhalte und sie tarnen will, werde ich mir nach außen hin doch nicht grad einen metallverarbeitenden Betrieb zulegen! Wäre ein Frisiersalon nicht viel besser? Oder eine Kaffeerösterei oder ein Käsegeschäft? Irgendwas jedenfalls, das nichts mit Metall zu tun hat? Vielleicht ist schon von daher die ganze Kölner Suchaktion für die Katz.«
»Sie denken ja kriminalistisch!«
»Ich will nur helfen.«
»Im Prinzip haben Sie recht. Als Tarnung das völlig andere! Sprengkörper in Form von Kinderspielzeug zum Beispiel, weil der Normalbürger auf so was Infames gar nicht kommt. Trotzdem spricht einiges dafür, daß es in unserem Fall keine Kaffeerösterei ist und kein Käsegeschäft, sondern eine Firma, die mit Metall zu tun hat. Denken Sie an die Maschinen, die Werkzeuge, die Materialien, die Zulieferfirmen! Wenn Sie Käse verkaufen, fallen die Bestellung einer neuen Drehbank und die Anlieferung von Stahl und Kupfer und Aluminium doch auf, weil so was nicht zum Käse paßt! Wenn ich Banknoten fälschen will, drucke ich wahrscheinlich auch Briefpapier, Visitenkarten und Prospekte. Und noch was: die Mitarbeiter! Ein Kaffeespezialist oder Käsefachmann wäre an einer Werkbank ziemlich verloren. Verstehen Sie?«
Golombek nickte. Sein zustimmendes Lächeln verriet Anerkennung. »Ich wäre sicher ein schlechter Polizist geworden.«
»So was kann man lernen. Man muß nur früh genug anfangen, denn das Wertvollste an einem vierzigjährigen Polizisten ist seine zwanzigjährige Erfahrung. Natürlich kommt im Idealfall ’ne angeborene Spürnase hinzu, aber es ist vor allem die lange Praxis, die uns vor Fehlern bewahrt. Ich würde mir zum Beispiel nicht zutrauen, morgen auf Pferdezüchtung umzusteigen, so wie die Pferdezüchter tunlichst die Finger vom Tiefbau lassen sollten.«
Wieder nickte Golombek, aber diesmal lächelte er nicht.
12.
Für eine so umfangreiche Überprüfung hatte das BKA zu wenig Leute. Darum wurden die örtlichen Dienststellen eingeschaltet, und so war seit den frühen Morgenstunden fast die gesamte Kölner Polizei im Einsatz.
Gegen halb fünf – da saßen Lemmert und Golombek noch immer über der Kartei –, waren bereits achtunddreißig Betriebe durchsucht worden. Die meisten Firmeninhaber hatten angesichts der großen Bedrohung Verständnis und Hilfsbereitschaft gezeigt.
Etwa zehn Minuten lang hatten Polizeiobermeister Hubert Nausch und fünf ihm unterstellte Männer in der Innenstadt die Kunstschmiede AURORA durchstöbert, als einer der Beamten, der Polizeianwärter Nevermann, mit einem LEITZ-Ordner unter dem Arm an ihn, der sich gerade mit dem Hausmeister unterhielt, herantrat und sagte: »Das könnte was sein!«
Er fischte aus der dicken Akte ein Papier heraus, hielt es Nausch hin und fuhr
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