1988 VX (SM)
Tag.
Bei Frank Golombek erfolgte die Abkehr von den Schmerzmitteln auf eine ganz andere Weise, obwohl es auch für ihn, wenngleich nur im übertragenen Sinn, der Wechsel von einem Gift zu einem anderen war. Er wandte sich nämlich wieder dem VX zu, und das kam so:
Er stand am Fenster seines Arbeitszimmers und beobachtete, wie ein großer amerikanischer Wagen vorfuhr. Ein Gl stieg aus und öffnete die hintere Tür. Dort kam ein Mann heraus. Golombek erkannte dessen Rangabzeichen; es waren die eines Colonels . Fängt das nun wieder an? dachte er. Wollen die zum x-ten Mal Mariannes Unfall und die Sache mit dem ausgestopften Schwarzstorch durchkauen?
Er ging in die Bibliothek, wo Katharina ihren Mittagsschlaf hielt, weckte sie, sagte dann: »Die Amis sind wieder da!«
Katharina stand auf, strich sich mit beiden Händen durchs Haar. »Die Amis? Was wollen sie?«
»Ich weiß es nicht. Laura wird ihnen öffnen, und dann erfahren wir es.«
So als hätte sie nur auf das Stichwort gewartet, erschien Laura in der offenen Tür. »Da ist ein Amerikaner«, sagte sie.
»Ich hab’ seinen Namen nicht verstanden. Er fragt, ob er mit einem von Ihnen sprechen könnte.«
»Bitte, laß ihn herein!« sagte Golombek.
Laura verschwand, und wenige Augenblicke später trat ein Mann von bestechendem Aussehen ein. Er war etwa fünfundvierzig Jahre alt, groß und schlank, braungebrannt, sportlich, hatte volles dunkles Haar und sehr maskuline Züge um Mund und Nase, dabei Augen, die melancholisch wirkten, ohne jedoch den männlichen Eindruck zu gefährden.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte der Offizier und sprach dann weiter in einem Deutsch, das nicht in der Wortwahl, sondern nur vom Akzent her etwas fremd wirkte, »daß ich ohne Anmeldung bei Ihnen erscheine. Ich kam gerade an Ihrem Gestüt vorbei und dachte mir, ich könnte die Gelegenheit nutzen und Ihnen eine Frage stellen, die ich schon lange auf dem Herzen habe.«
»Bitte«, sagte Golombek, »setzen Sie sich!«
Doch der Fremde wartete erst noch das zustimmende Nicken Katharinas ab, ehe er auf einen Sessel zuging, setzte sich aber auch dann noch nicht, sondern verbeugte sich leicht und sagte: »Mein Name ist Morrison. Ich bin der Nachfolger von Colonel Braden.« Nun erst nahm er Platz.
Katharina war mittlerweile jeder willkommen, wenn er nur den Anlaß gab, daß die Gläser auf den Tisch kamen; doch diesmal ging es ihr um mehr. Sie dachte: Gut gemacht, Mike Morrison! Weiter so! Und dann fragte sie ihren Gast: »Möchten Sie etwas trinken? Einen Scotch vielleicht?«
»Danke, sehr gern«, antwortete der Colonel .
Golombek machte die Drinks fertig. Der Amerikaner wollte den Whisky nur mit Eis, Katharina ihren gewohnten Longdrink aus Scotch und Soda, und sich selbst schenkte er einen Hennessy ein.
»Was führt Sie zu uns?« fragte er dann.
»Ich bin wegen Ihrer Pferde gekommen.«
»Wegen unserer Pferde?« Katharina nahm ihr Glas in die Hand. »Sie wollen sie hoffentlich nicht für ein Manöver ausleihen!«
Der Colonel lachte. »O nein! Dazu wären sie zu schade. Um ein Ausleihen geht es allerdings doch, aber um ein privates, und selbstverständlich zahle ich Ihnen den üblichen Preis.«
Er zog die Brauen zusammen, und für einen Moment wirkte er sehr ernst, fast düster. »Mein Vorgänger war Tennisspieler. Armer Braden! Dabei verstehe ich gut, daß er diese Tennisstunden hatte. Wir Soldaten brauchen alle irgendwas Persönliches, Privates neben unserem Dienst, eine unmilitärische Beschäftigung. Ja, und ich reite nun mal gern, bin auf einer Ranch in Texas aufgewachsen. Und jetzt hab’ ich Ihre Pferde gesehen. Eins ist schöner als das andere! Ich muß Ihnen gestehen, ich bin schon oft hier bei Ihnen vorbeigefahren, nur um mir Ihre Tiere anzusehen.«
Seltsam, dachte Golombek, du schleichst um das Gestüt wegen unserer Pferde, und ich schleiche um das Camp wegen eurer Granaten! Vielleicht spielte dieser Gedanke ein bißchen mit hinein, als er nun antwortete: »Wenn Sie Pferde so lieben, Colonel , dürfen Sie gern zu uns zum Reiten kommen, und natürlich ohne Bezahlung. Sie sind dann unser Gast.«
»Oh, das ist ganz reizend«, erwiderte Morrison, »aber ohne zu bezahlen …?«
»Ich habe«, sagte Golombek, »noch nie ein Pferd vermietet und werde es auch in Zukunft nicht tun. Indem Sie unsere Tiere mögen und uns das sagen, machen Sie uns eine Freude; also dürfen wir Ihnen auch eine machen.«
Die drei sagten sich noch eine ganze Reihe von Nettigkeiten. Dann erzählte Morrison von seinen
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