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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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lassen. Größe, Farbe, Muster, Haltbarkeit werden ihn beschäftigen, der Preis nicht, und das ist auch so eine Eigenart an ihm, die mir gefällt, aber nicht, weil ich’s gut habe dabei, sondern als Wesenszug. Er ist großzügig bis hin zur Selbstlosigkeit, aber sobald er merkt, daß man ihn übervorteilen will, kämpft er um jeden Groschen. Dafür ist er bekannt, und darum versucht so leicht niemand, ihn reinzulegen. Wirklich, seine Großzügigkeit nimmt manchmal geradezu skurrile Züge an. Ich weiß noch, wir saßen mal zu dritt in einem Restaurant und aßen zu Mittag. Wir beide und Marianne, die damals noch in die Grundschule ging. Da kam ein Bettler herein mit seiner kleinen Tochter an der Hand. Der Kellner faßte ihn derb an und wollte ihn und das Kind in die Drehtür schieben. Aber Frank hatte bemerkt, daß das Mädchen, zehn oder elf Jahre alt mochte es sein, blind war. Er sprang auf, ging zu dem Mann, der sich verzweifelt gegen einen der Türflügel stemmte, gab ihm die Hand und fragte, warum er denn so spät gekommen sei. Er begrüßte auch das kleine Mädchen und führte die beiden, am verdutzten Kellner vorbei, an unseren Tisch. Großes Händeschütteln dann auch mit mir, weil er es so wollte. Und anschließend wurde bestellt für die beiden: Vorspeise, Suppe, Hauptgericht, Dessert. Dazu kam noch ein Kaffee, das heißt, für die Kleine mußte es, obwohl sie gerade einen Becher Eis verzehrt hatte, heiße Schokolade sein. Zum Schluß steckte er dem Mann einen Geldschein in die Jakkentasche, und ich weiß noch, der Beschenkte – es war ein Spanier oder Italiener, und die Unterhaltung lief entsprechend holperig – hätte meinem guten Frank fast die Hände geküßt. Und dann kam der Abschied. Stolz ging der Mann mit dem Mädchen an den Tischen vorbei, und der Kellner schleuste die beiden in die Drehtür, ohne Handanlegen, nur mit ein paar verklemmt-höflichen Gesten, was der bizarre Gast gnädig nickend quittierte. Und auf unserer Heimfahrt dann Mariannes Fragen! Wie das denn wohl sei, wenn das blinde Mädchen den ersten Löffel zum Munde führe und gar nicht wisse, was drauf sei. Ob sie sich wohl sehr erschrecke, wenn sie Makkaroni gedacht habe und dann seien es Pommes frites. Und ob sie mit dem Löffel oder der Gabel auch immer den Mund treffe. Und was sie, wenn sie allein sei, vor einer roten Ampel mache. Und was sie wohl den ganzen Tag über tue, wo sie doch nicht lesen könne und es auch kein Fernsehen für sie gebe. Frank ging auf jede Frage ein und versuchte, Marianne klarzumachen, welch unermeßlichen Vorteil sie gegenüber dem blinden Mädchen habe. Sie könne, obwohl ohne Arme auf die Welt gekommen, nahezu alles erlernen, mühsamer als andere freilich, aber mit viel Fleiß und Geduld könne sie ihren Nachteil wettmachen, die kleine Blinde hingegen nicht. Zwar sei auch sie in der Lage, sich manche Fertigkeit anzueignen, das verstärkte Hören zum Beispiel und das Tasten, sogar das Lesen mit den Händen, aber Marianne könne eben sehen, und das sei ein großes Geschenk. Ich hatte immer gewußt, daß er unser Kind innig liebte, aber erst auf dieser Autofahrt ist mir das ganze Ausmaß seiner Liebe klargeworden. Er rang geradezu darum, ihre Behinderung zu relativieren, damit sie, wenn sie mal in Verzweiflung geriete, sich daran erinnerte, daß die Blinde es noch viel schwerer hatte als sie. Das Sprichwort vom geteilten Leid fiel natürlich nicht, dazu war Marianne noch zu klein, aber er bot ihr kindgemäße Beispiele an, tat es mit aller Eindringlichkeit.
    Wieder sah Katharina auf das Meer und auf die weißen Segel, aber sie dachte an zu Haus und sehnte sich nach ihrem Mann.

2.
    Die erste große Hürde hatten sie genommen, und zu ihr rechnete Frank Golombek alle Arbeiten, die den Start sowohl des Schwimmbad- als auch des Tunnelbaus ermöglichten. Es war von entscheidender Bedeutung gewesen, in welcher Reihenfolge die einzelnen Schritte der Vorbereitung abliefen. Die Genehmigung des Bauantrages war schnell erfolgt. Das Amt hatte die Notwendigkeit, Stützpfeiler anzubringen, ohne Kommentar zur Kenntnis genommen. Das von Rüdiger beigebrachte gefälschte Papier zur Bodenanalyse war dem Antrag beigefügt gewesen, und der Bauausschuß hatte keinen Anlaß gesehen, das Ergebnis einer privat in Auftrag gegebenen Bodenuntersuchung anzuzweifeln oder gar zu überprüfen.
    Er hatte, was die Ankündigung seines Vorhabens betraf, noch einen weiteren Schritt unternommen, war, wenn auch mit zwiespältigen

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