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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Pierre, die beim Transport geholfen hatten, waren gleich wieder in die Halle zurückgekehrt, und Nadine hatte auf der Außenbaustelle Wache bezogen, um notfalls den Alarmschalter zu bedienen. Bei Rüdiger waren jetzt also nur Robert und Golombek.
    Sie hockten hintereinander in der Röhre, Golombek als letzter. Neben ihm lag die Bohrmaschine, von der sie hofften, daß sie sie nicht mehr brauchen würden, denn zusätzliche Löcher könnten sie erst wieder am nächsten Tag herstellen, weil sie dazu den Lärm der Ramme brauchten.
    Golombek beobachtete aufmerksam, was vorn geschah. Rüdiger hatte angeordnet, den Löchern auf ihrem Weg ins Steininnere eine leichte Abwärtsneigung zu geben. Das zahlte sich jetzt aus. Er brauchte den zähflüssigen Brei nur in die Öffnungen zu gießen, statt ihn mühsam mit einem Spachtel hineinzudrücken, konnte sich sogar das Verdammen ersparen. Golombek sah, wie er die graue Masse mit ruhiger Hand einbrachte, so ruhig, so gelassen, als schenkte er Bier aus oder Kaffee. Und dachte: Wenn der Stein wirklich in lauter handliche Teile zerfällt und wir ihn also besiegen, grenzt es an ein Wunder, und ich werde das als Ermutigung auffassen, unser Werk fortzusetzen.
    Schließlich war die Arbeit getan. Rüdiger drehte sich um und sagte: »Jetzt werden, wie es in der Firmenwerbung heißt, die BRISTAR-Heinzelmännchen für uns arbeiten! Im Moment haben wir hier nichts mehr zu tun, gehen am besten zurück und hauen uns in die Kojen.«
    Am nächsten Nachmittag krochen sie wieder an die vorderste Front. Dort war alles unverändert, aber Rüdiger beruhigte die beiden anderen. »Ich bin ganz sicher«, sagte er, »in zwei, drei Stunden geht das Reißen los. Dann ist der Expansivstreß auf dreitausend Tonnen pro Quadratmeter angewachsen, und für die meisten Materialien reicht das aus. Aber selbst wenn auch dann noch nichts passiert, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, denn am zweiten und dritten Tag steigt der Druck noch bis auf viertausend Tonnen an.«
    So warteten sie, legten sich hintereinander auf den Röhrenboden. »Ihr könnt ruhig eine verspätete Siesta halten«, sagte Rüdiger. »Ich werde euch schon wecken, wenn er aufgibt.«
    Golombek befand sich wieder ganz hinten. Er lag auf dem Rücken und starrte an die stählerne Decke, die sich knapp einen Meter über ihm wölbte. Ein verrücktes Biwak! dachte er. Manchmal ist mir, als habe dies alles, der Stein, die Löcher, das gespenstische Licht, das Warten …, als habe es mit dem VX gar nichts mehr zu tun. Was Katharina wohl sagen würde, wenn sie uns hier liegen sähe? Ob sie …, ob sie mich und die anderen verraten würde? Was sie wohl gerade macht?
    Ihm fiel der Stacheldrahtzaun ein, von dem sie gesagt hatte, er habe ihn um sein Bett gezogen. Ich glaube, dachte er, wenn sie nun andere Betten aufsucht, solche ohne Stacheldraht, darf ich es ihr nicht verübeln. Und schließlich hab’ ich ja selbst mein kleines unterirdisches Erlebnis gehabt! Es war schön, aber doch nur ein erotischer Probierspaß, zu dem auch die seltsame Umgebung ihren Teil beitrug und bei dem ich nicht mal zum Zuge kam. Ich bin nicht sicher, daß es sich wiederholen wird, ob nun im Grubenschacht oder außerhalb. Eigentlich ist es doch nur Katharina, die wirklich zählt! Mit dem Gedanken, daß nach Ablauf der acht Wochen eine Scheidung das letzte sei, was er sich wünschte, schlief er ein.
    Erst eine ganze Stunde später weckte ihn Rüdigers Ruf: »Freunde, es ist soweit!« Er war sofort hellwach, kroch nach vorn, wo Rüdiger und Robert dicht nebeneinander hockten. Er kniete sich hinter ihnen hin, hatte zwischen ihren Köpfen freien Blick. Gespannt verfolgte er, was auf der hellgrauen, von funkelnden Graphitsplittern durchsetzten Steinfläche geschah. Ein horizontal verlaufender Riß war schon vorhanden, und man hörte, daß ein weiterer im Entstehen war. Es klang wie das Knacken von Eiswürfeln in einem Longdrink, nur etwas lauter, aber gemessen an der Mächtigkeit des Steins und der Dreitausend-TonnenKraft, die dem Brocken zu Leibe ging, war es dennoch ein geringes Geräusch.
Der neue, sich diagonal erstreckende Riß wurde sichtbar, und dann erfolgte etwas, womit sie nicht gerechnet hatten: In einem mächtigen Strahl schoß Wasser aus ihm heraus und durchnäßte die drei, die nun zurückwichen. Im Abwenden sah Golombek, daß das Wasser auch noch aus anderen, soeben entstandenen Öffnungen kam. Innerhalb von wenigen Sekunden erreichte es etwa dreißig Zentimeter

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