1991 Atlantik Transfer (SM)
Mann, der seltsam nachsichtig mit ihm verfuhr, indem er offenbar die Schuld am Tod seiner Frau und seines kleinen Jungen aufteilte in eine direkte für Leuffen und eine indirekte für ihn, den Schiffsführer. Aber leider gab es jemanden, der nicht so milde mit ihm umging, und das war Olaf.
Er zog eine Schublade auf und nahm den Brief seines Sohnes heraus, den er in Philadelphia bekommen hatte. Er hatte ihn schon so oft gelesen, daß er die Passagen, die ihn am meisten beschäftigten, gleich wiederfand:
»… waren mir Deine holländischen Kontoauszüge, die Du bei jedem Besuch stolz auf den Tisch gelegt hast, nie so ganz geheuer. Und als ich dann von der Reederei erfuhr, daß man Dich in New Orleans wegen Drogenschmuggels verhaftet hat, war mir alles klar. Zwar bist du schnell wieder freigekommen, aber das überzeugt mich nicht von Deiner Unschuld. Irgendwoher muß das viele Geld ja stammen …«
»… will ich nicht länger der Partner eines Mannes sein, der womöglich dazu beiträgt, daß junge Menschen, manchmal sind es noch die reinsten Kinder, sich zugrunde richten …«
»… hat unser Umsatz sich in den beiden letzten Monaten wieder etwas verbessert, vielleicht, weil der Fluß längere Zeit nicht im Gerede war. Aber selbst wenn wir den Laden noch einmal in Schwung bringen könnten, will ich nicht mehr mitmachen. Versteht Du? Ich habe keine Freude an einem Geschäft, von dem ich weiß, daß schmutziges Geld drinsteckt. Meine Einlage hätte ich gern so schnell wie möglich zurück …«
»… hast mir immer so viel erzählt von unseren Vorfahren, den Grönlandfahrern, den großen Kommandeuren und tüchtigen Kapitänen. Es ist etwas Wunderbares, solchen Vorbildern nachzueifern, aber mit dem schönen Schein ist es nicht getan …«
»… müssen wir offen über alles sprechen, sobald Du wieder in Deutschland bist …«
Er legte den Brief in die Schublade zurück. Ich glaube, dachte er, ich werde in Veracruz für eine Reise aussetzen. Hab’ noch massenhaft Urlaub gut, und die Weiterfahrt nach Cartagena und zurück in den Golf kann der Erste übernehmen. Ja, ich telefoniere mit der Reederei und fliege dann nach Deutschland, um mit Olaf zu sprechen. Schön wäre es natürlich, ihm erzählen zu können, ich hätte für Thaden diesen Pohlmann alias Leuffen gefunden, also auch mal was Gutes getan.
Drüben, auf dem Tisch in der Sitzecke, lagen noch immer die beiden SLABY-GROSSMANN-Bände. Es war ein beinahe feindseliger Blick, mit dem er die in graues Leinen gebundenen Bücher streifte, denn der widerliche Leuffen hatte sie in seinen Händen gehabt und sich vielleicht doch etwas aus ihnen herausgesucht, was er für den neuen Start brauchte. Aber, um alles in der Welt, was konnte das gewesen sein?
Er holte sich den spanisch-deutschen Band, schlug ihn ungefähr in der Mitte auf, blätterte dann Seite für Seite um, las auf jeder die beiden oberhalb der drei Spalten stehenden fettgedruckten Stichwörter.
So las er links lugares und lustre und rechts lustrina und llamar.
Dann blätterte er um, las links llamara und lleno, rechts lleona und lluvioso. Blätterte wieder. Auf der nächsten Seite begannen die Wörter mit dem Buchstaben M. Er las M und madre auf der linken, madrecita und mago auf der rechten Seite. Dachte: Mit dem Mütterchen und dem Zauberer hat er wohl kaum was im Sinn gehabt. Jetzt erst fiel ihm auf, daß hier die Unansehnlichkeit nicht die übliche, die altersbedingte, war, sondern von den dunklen Spuren herrührte, die in jener dramatischen Nacht entstanden waren, als Leuffen die bodega gewaltsam geöffnet und dabei den gefüllten Aschenbecher vom Wandbord gefegt hatte. So verweilte er bei dieser Doppelseite etwas länger, las nicht nur die obenstehenden fettgedruckten Eckwörter, sondern auch ein paar Vokabeln aus der Mitte, erfuhr, daß macilento auf deutsch abgezehrt und hager heißt, aber auch traurig und niedergeschlagen, daß eine madraga eine Zange ist und eine madrina sowohl eine Taufzeugin wie auch eine Leitstute. Als er schließlich unten rechts bei dem mago, dem Zauberer, angekommen war, wurde ihm klar, was für einen Unsinn er trieb. Er war so schlau wie zuvor, konnte sich jedenfalls mit dem besten Willen nicht vorstellen, nach welchem Wort Leuffen gesucht haben mochte, neigte dann auch schnell zu der Annahme, es habe sich um einen Zufall gehandelt, daß der Band an dieser Stelle, nämlich bei den Seiten 430 und 431, aufgeschlagen gewesen war. Er schloß ihn, wollte ihn hinter sich ins
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