1991 Atlantik Transfer (SM)
zigtausend deutschen Kleinaktionären steckt. Also, sobald wir Land unter den Füßen haben, studieren wir das Telefonbuch von Mexico City!«
3
Einen Teil der letzten Bordnacht verbrachte Jacob Thaden auf dem Peildeck, dem höchstgelegenen Aufenthaltsort des Schiffes, wenn man einmal vom Krähennest absah, jener kleinen, auf halber Masthöhe installierten Station für den Ausguckposten. Es war auch einer der stillsten Plätze, weitab von der Maschine, und falls man sich nicht gerade an die Lüftungsklappen des Schornsteins stellte, hörte man den Motorenlärm nur gedämpft, zumal der Fahrtwind und das Rauschen des Wassers für Nebengeräusche sorgten.
Er stand an der Brüstung, spürte im Gesicht die feuchtwarme subtropische Luft, empfand sie als angenehm, wäre gern gänzlich eingetaucht in das Erlebnis von Himmel, Meer und Wind.
Aber er schaffte es nicht. In Stunden wie dieser, in denen das Dasein sich vertiefte und verdichtete, war seine Sehnsucht nach Sigrid und Arndt noch größer, noch verzweifelter als sonst.
Er dachte an Nielsons madrugada, versprach sich auch jetzt nicht viel von dieser Spur, war aber gerührt vom Eifer des Kapitäns.
Na gut, sagte er sich, ein paar Betriebe mit diesem Namen können wir ja aufsuchen. In dem einen trinken wir vielleicht ein Bier, in dem anderen essen wir ein Steak, und im nächsten gucken wir zu, wie ein Schuster Stiefel besohlt oder ein Gärtner Palmen umtopft.
Er verließ seinen Platz und ging hinunter in die Kabine. Sein Koffer war gepackt, das heißt, er lag aufgeklappt auf dem Fußboden, um am Morgen die Dinge aufzunehmen, die bis dahin noch gebraucht wurden. Er duschte und ging dann schlafen.
Um acht Uhr traf er sich mit dem Kapitän zum Frühstück in dessen Salon.
»In einer halben Stunde«, sagte Nielson, »kommt der Lotse, und dann heißt es: Auf nach Veracruz! Die Stadt ist nicht besonders schön, aber sie hat viel Charme. Am Abend müssen Sie unbedingt über die plaza gehen! Die Musik, die Tänze, die gefüllten Restaurants direkt an der Straße, die schönen Mädchen und ihre Begleiter, die Schuhputzer, die Bettler, ja, auch die Bettler, alles das zusammen bietet ein so vitales und fröhliches Bild, daß man meint, da würde gerade ein großes Fest gefeiert. Übrigens sind Sie nicht der einzige, der heute von Bord geht.«
»So?«
»Ich werde der CAPRICHO auch den Rücken kehren; allerdings nur für eine Reise. Der Erste übernimmt dann das Kommando.«
»Das kann er?«
»Er hat sein Kapitänspatent längst in der Tasche, und es geht ja auch nur mal eben rüber nach Cartagena, dann zurück nach Mexiko und anschließend wahrscheinlich nach Hamburg. Aber dann bin ich schon wieder an Bord.«
»Wollen Sie Urlaub machen?«
»Könnte man sagen, ja. Ein paar Tage in Veracruz, ein paar in der Hauptstadt, und dann möchte ich einen Freund in Puebla besuchen. Aber als erstes sehen wir uns im Telefonbuch Ihre fünfhundert madrugadas an, von denen ich glaube, daß es höchstens fünf sind.«
Nach dem Frühstück ging Thaden auf die Brücke. Er beobachtete das Herannahen des Lotsenbootes. Als es längsseits kam, wechselte er, um den Betrieb im Ruderhaus nicht zu stören, über auf die Steuerbord-Nock. Durchs Fernglas besah er sich San Juan de Ulua, die alte Festung der Spanier, und bald darauf machte die CAPRICHO an einem der Kais von Veracruz fest.
Die Männer vom clearing und ein paar Händler kamen die Gangway herauf. In der Messe mußte Thaden sich seinen Paß stempeln lassen, um von Bord gehen zu können. Als er wieder auf den Gang hinaustrat, stieß er auf Nielson, der ihn am Arm packte und in seinen Salon zog.
»Thaden, tun Sie ein gutes Werk! In diesem Moment kommt da so ein langer, gelackter Kerl anmarschiert. Für den sind Sie Mister Hippensteel, ein Beamter aus Washington, Abteilung Rauschgift. Sie brauchen nichts zu sagen, nur dazustehen und ein bißchen grimmig zu gucken. Falls es aber doch zu einem Gespräch kommt, reisen Sie mit nach Cartagena und auch wieder zurück. Laufen Sie jetzt also nicht mit Ihrem Koffer durch die Gegend!«
Ehe Thaden etwas erwidern konnte, wurde an die Tür geklopft.
Der Besucher war ein großer und hagerer Mann, der – im Gegensatz zu den anderen, die das Schiff in lässiger Tropenkleidung bestiegen hatten – einen eleganten dunklen Anzug trug.
»Hallo, Pablo!« sagte der Kapitän, und dann stellte er vor:
» Señor Mendoza, ein Freund von mir; Mister Hippensteel aus Washington, der mit uns reist.« Ein
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