1991 Atlantik Transfer (SM)
Schnauze unter Wasser blieb. Nun trafen ihn nur noch die Krallen der zuckenden Pfoten, brachten ihm ein paar Schürfwunden bei, und dann, ganz plötzlich, ließen die Kräfte des Tieres nach. Doch schon bahnte eine neue Gefahr sich an. Im Haus flammte Licht auf. Ihm war klar, gleich würden die Bewohner herausstürmen, und vielleicht hatten sie sogar Waffen bei sich. Er ließ das Tier los, sah, daß es zwar ein Stück hochkam, dann aber regungslos trieb. Mit einem gewaltigen Schwimmstoß gelangte er an den Beckenrand, packte dort die Kante und hechtete aus dem Wasser. Und dann rannte er, ignorierte dabei den mörderischen Schmerz in seinem Bein, denn er mußte, koste es, was es wolle, über die Mauer. Etwa zehn Schritte fehlten noch, da hörte er vom Haus her Rufe und aufgeregtes Reden. Noch fünf Schritte, vier, drei. Er erreichte die Mauer, nutzte den vollen Schwung des Laufes und schaffte es hinaufzukommen, ließ sich auf der anderen Seite ins Gras fallen. Doch verschnaufen durfte er nicht. Seine Verfolger würden, vor allem, wenn sie den bewußtlosen oder vielleicht sogar toten Hund gefunden hatten, nicht nur den Garten absuchen, sondern auch das weitere Umfeld. Also stand er auf, rannte wieder los, weg von der Mauer und hinein ins Agavenfeld, kam nur mühsam voran, weil die riesigen Kakteen nicht in Reih und Glied standen und er sich im Zickzackkurs hindurchwinden mußte.
Die Schmerzen waren fast nicht zu ertragen. Mehr als einmal war er nahe daran aufzugeben, sich einfach auf den Boden zu werfen; aber immer wieder machte er sich klar, daß er kurz darauf Pohlmanns Gefangener sein würde. Im Laufen griff er nach hinten an die Jeans. Ja, seine Papiere waren noch da. Er überlegte, ob er sich von dem kleinen durchweichten Bündel trennen, es kurzerhand in eine der Agaven stecken sollte, dorthin, wo die unteren Blattpartien einen Trichter bildeten, beschloß dann aber, es nicht zu tun oder jedenfalls erst, wenn er sicher war, nicht mehr davonzukommen.
Sein Pullover fiel ihm ein, der im Schwimmbad geblieben war.
Doch der Sorge, ein so auffälliges Indiz hinterlassen zu haben, folgte rasch die Beruhigung. Er hatte das Kleidungsstück in Veracruz gekauft, weil es dort abends doch recht kühl wurde, und er wußte, auf dem Läppchen am Kragen stand: 100 % pura lana/hecho en Mexico.
Er schlug einen Bogen, wollte versuchen, die Hacienda zu umrunden. Danach würde er sich östlich halten und hoffentlich irgendwann auf den ROVER stoßen. Es war ein großer Trost, daß der Hund offenbar nicht mehr eingesetzt werden konnte.
Mit ihm auf den Fersen hätte er, der ständig Blut verlor, keine Chance gehabt.
Etwa zehn Minuten später hatte er die Richtung inne, in der er seinen Wagen vermutete. Rechts mußte nun in einem Abstand von ungefähr fünfhundert Metern die Privatstraße verlaufen. Daß es so war, wurde ihm bald bestätigt, denn er hörte ein Auto. Sehen konnte er es nicht. Verteilt über einen so breiten Gürtel, bildeten die Agaven eine Wand, die keinen Durchblick erlaubte. Das Motorengeräusch verebbte bald wieder. Sicher setzte man die Suche jetzt auf der Landstraße fort.
Er hoffte, die Verfolger fuhren in Richtung Huamantla und nicht nach Altzayanca; sonst würden sie auf den ROVER stoßen.
Das Feld schien nicht enden zu wollen. Längst hatte er die Kraft zum Laufen verloren, schleppte sich nur noch mühsam Schritt für Schritt voran. Aber schließlich war es doch geschafft. In etwa zwanzig Metern Entfernung entdeckte er sein Fahrzeug. Doch ob es wirklich so einsam und verlassen dastand, wie es den Anschein hatte? Vielleicht kauerten die Häscher hinter dem Wagen! Er überquerte die Straße, kontrollierte, so gut es im Mondlicht ging, die andere Seite des ROVERs, entdeckte niemanden. So wagte er es, lief die letzten Schritte, riß die Tür auf und warf sich auf den Sitz. Er öffnete seinen Gürtel, zog die nassen Jeans halb herunter, schaltete die Innenbeleuchtung ein.
Vor lauter Blut konnte er die Wunde nicht erkennen. Er zog sein Hemd aus, wischte damit über den Oberschenkel und sah, was der Rottweiler angerichtet hatte. Ein Stück Fleisch, so groß wie ein Hühnerei, war regelrecht herausgebissen, hing zwar noch am Bein und würde, wenn er einen Arzt fände, wohl auch nicht abfallen, aber er mußte schnell behandelt werden.
Er nahm das Feuerzeug aus der Hemdtasche, legte es ins Handschuhfach, wickelte das Hemd um den Oberschenkel und machte mit den Ärmeln einen festen Knoten. Dann zog er die Hose wieder
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